Das siebte Kreuz
Interesse Ihrer gesamten Familie, als deren Oberhaupt Sie nun einmal gelten. Enthalten Sie sich jedes Schrittes und jeder Äußerung, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem gewesenen Mann Ihrer Tochter Elisabeth Heisler stehen. Und sollten Sie irgendein Bedenken haben, irgendeinen Rat brauchen, so wenden Sie sich nicht an Ihre Frau und an kein Familienmitglied und auch an keinen geistlichen Beistand, sondern wenden Sie sich an unsere Zentrale und verlangen Sie Zimmer achtzehn. Verstehen Sie mich, Herr Mettenheimer ?«
»Jawohl, Herr Kommissar«, sagte Mettenheimer. Er verstand kein Wort. Wovor war er gewarnt worden? Was hatte sich bestätigt? Was für Bedenken sollten ihm kommen? Das junge Gesicht, das er eben noch hatte ohrfeigen wollen, war plötzlich aus Granit, das undurchdringliche Bildnis der Macht.
»Sie können jetzt gehen, Herr Mettenheimer. Sie wohnen Hansastraße elf. Sie arbeiten bei der Firma Heilbach? Heil Hitler!«
Einen Augenblick später stand er auf der Straße. Warmes, lockeres Herbstlicht lag auf der Stadt und gab der Menge jene gemeinsame festliche Heiterkeit, die sie sonst nur im Frühjahr hat. Die Menge zog ihn einfach mit. Was haben die von mir gewollt? dachte er. Wozu haben sie mich eigentlich vorgeladen? Vielleicht doch wegen Ellis Kind? Sie können einem, wie heißt es, das Sorgerecht nehmen. Auf einmal wurde er munter. Er kam mit sich überein, daß ihn irgendeine Behörde wegen irgendeiner Amtssache irgend etwas gefragt hatte. Wie hatte ihn denn das dermaßen verstören können? Er hatte nicht die geringste Lust mehr, weiterzugrübeln. Er hatte Lust auf Kleistergeruch, in einen Tapeziererkittel hineinzukriechen, hinein in das gewöhnliche Leben, so tief hinein, daß man von niemand gefunden wurde. Im selben Augenblick kam die Neunundzwanzig dahergefahren. Er stieß die Menschen zurück und sprang auf. Er wurde nun seinerseits in den Wagen gestoßen von einem Mann, der hinter ihm aufsprang, ein etwas rundlicher Mann mit einem neuen Filzhut, der seinem Kopf mehr aufgelegt war als eingedrückt. Ein Mann, wenig jünger als er selbst. Sie schnauften um die Wette. »In unserm Alter«, sagte Mettenheimer, »sind das Streiche.« Der andere sagte zornig: »Na ja, eben.«
Als Mettenheimer auf seiner Baustelle ankam, begrüßte ihn Siemsen. »Wenn ich das gewußt hätte, Mettenheimer, daß Sie doch gleich kommen. Ich hab gemeint, bei Ihnen brennt’s oder Ihre Frau ist in den Main gefallen.«
»Bloß eine Amtssache«, sagte Mettenheimer. »Wieviel Uhr ist es?«
»Halb elf.«
Mettenheimer schlüpfte in seinen Kittel. Er schimpfte sofort: »Ihr habt die Borte wieder zuerst geklebt. Nach was sieht denn das aus? Hebt sich ja nicht ab. Ihr habt bloß Angst, die Tapete schmiert. Ihr müßt halt achtgeben. Das muß da runter, da nützt alles nichts.« Er murmelte: »Ein Glück, daß ich noch dazugekommen bin.« Er schlüpfte wie ein Eichhörnchen auf den Leitern herum.
4
Georg war es geglückt. Er hatte sich in einen frühen Kirchgänger verwandelt, kaum daß der Dom aufgeschlossen war. Er war nur einer der wenigen Männer unter zahlreichen Frauen. Der Küster hatte ihn auch erkannt. Hui, auch einer, den’s gepackt hat, dachte er befriedigt, drei Minuten vor Torschluß … Georg brauchte Zeit, um sich aufzurichten. Er schleppte sich mühsam heraus. Der macht’s keine zwei Tage mehr, dachte Dornberger, auf offener Straße wird er zusammenbrechen. Sein Gesicht war grau von einer tödlichen Krankheit.
War nicht noch das Pech mit der Hand gekommen! Daß einem immer ein winziger Unsinn alles kaputtschlug! Wo, wann war mir das passiert mit der Hand? Auf dieser mit Scherben besetzten Mauer vor ungefähr vierundzwanzig Stunden … Die Leute schoben ihn aus dem Dom durch die Tür in ein kurzes Gäßchen. Es stieß zwischen niedrigenHäusern, in denen die Läden schon hell waren, auf einen großen, durch den Nebel uferlosen Platz. Trotz dem Nebel wimmelten Platz und Gäßchen. Die Marktbuden wurden aufgeschlagen. Noch in der Domtür roch es stark nach Kaffee und frischem Kuchen, denn gleich nebenan war die Dom-Konditorei. Und mindestens mit den Blicken zog es alle, die jetzt aus der Messe kamen, nach den Apfel- und Streuselkuchen im Schaufenster.
Als die kühle, feuchte Luft sein Gesicht schlug, da half dem Georg nichts mehr. Seine Beine rutschten ihm weg, da hockte er auf dem Pflaster. Zwei alte Fräuleins kamen aus dem Dom, zwei ledige Schwestern.
Weitere Kostenlose Bücher