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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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her ging und zwischen den Möglichkeiten, mitten in der Gefahr, dann erschien ihm das alles weniger aussichtslos. Der Strom mit den Schleppdampfern, die ihre Schornsteine umlegten, um unter den Brücken durchzukommen, das jenseitige Ufer mit einem hellen Streifen Sandes und einer niedrigen Häuserreihe darüber, die Abhänge des Taunus weit hinten, all das hatte für Georg die Überdeutlichkeit, die eine Landschaft in einem Kriegsgebiet hat, in einer großen Gefahr, wenn sich die Umrisse alle heraustreiben und verschärfen, bis sie zu beben scheinen. Auf dem Markt hatte er noch gefürchtet, daß seine Kräfte nicht einmal ausreichen möchten, ihn bis zum Ufer kommen zu lassen. Jetzt aber, wie er sich vornahm, möglichst rasch aus der Stadt weg mindestens drei Stunden rheinabwärts zu gehen, ließ seine Schwäche ein wenig nach, und die Erde, auf die er trat, schien härter zu werden. Er überdachte die letzten Stunden. Wer hat mich gesehen? Wer kann mich beschreiben? In diesen Kreis hineingeraten, war er schon halb verloren. Furcht, das ist, wenn eine bestimmte Vorstellung anfängt, alles andere zu überwuchern. Aus heitrem Himmel, mitten auf diesem stillen Weg, wo gar keine Augen auf ihn gerichtet waren, traf es ihn! Ein neuer Anfall von Furcht, eine Art Wechselfieber, das freilich in immer längeren Abständen wiederkehrte. Er stützte sich auf das Geländer. Himmel und Wasser waren verdunkelt, sekundenlang. Dann verging es, von selbst, wie Georg wohl glaubte; und zur Belohnung, weil es vergangen war, sah er jetzt die Welt nicht verdunkelt und nicht überwirklich, sondern in ihrem gewöhnlichen täglichen Glanz, stilles Wasser und Möwen, deren Krächzen die Stille nicht störte, sondern erst recht vollkommen machte. Es ist ja Herbst, dachte Georg, die Möwen sind da.
     
    Neben ihm hatte sich jemand übers Geländer gelehnt. Er musterte seinen Nachbar, einen Schiffer in dunkelblauem Pullover. Wenn sich hier einer übers Geländer beugt, bleibt er nie lange allein, die Kette reiht sich, Schiffer auf Urlaub, Angler, die gerade keine Lust zum Angeln haben, alte Leute. Denn das fließende Wasser, die Möwen, das Ein- und Ausladen auf den Schiffen, all das bewegt sich für sie, die ganz starr zusehen. Neben dem Schiffer standen schon ihrer fünf, sechs. »Was kostet hier so ‘ne Jacke?« fragte der Schiffer. »Zwanzig Mark«, sagte Georg. Er wollte weggehen, aber die Frage hatte etwas in seinem Kopf locker gemacht.
     
    Über die Fahrstraße unterhalb des Geländers kam ein dicker, fast kahler Schiffer. »Hallo! He!« schrie es von oben auf seine Glatze herunter. Er sah hinauf und lachte. Er faßte die Beine des oberen Schiffers, der sich stramm machte. Einszwei zog sich der Dicke trotz seiner Dicke herauf, mit seinem großen kahlen Kopf unter den Beinen des oberen Schiffers durch. Jetzt hieß es: »Wie geht’s? Wie steht’s?« - »Ordentlich«, sagte der Neue, dem man anhörte, daß er ein Holländer war. Jetzt kam von der Stadt her ein Männlein mit Angelgeräten und einem Eimerchen, wie es die Kinder zum Sandspielen verwenden. »Da kommt ja schon das Hechtschwänzchen«, sagte der Dicke. Er lachte auf, weil für ihn dieses Hechtschwänzchen mit seiner Angel und seinem Kindereimer zur Anlegestelle der Stadt gehörte wie das Rad in ihr Wappen. »Heil Hitler!« rief das Hechtschwänzchen. »Heil! Hechtschwänzchen!« rief der Holländer. »Jetzt haben wir dich ertappt«, sagte ein Bursche, dem die Nase von einem Faustschlag schräg stand, aber, so sah es aus, nur momentan, sie mußte gleich wieder richtig gucken, »du kaufst ja deine Backfische auf dem Markt.« Zu dem Holländer sagte er: »Was gibt’s Neues in der großen Welt?« – »No, da gibt’s immer was«, sagte der Holländer, »aber bei euch ist ja auch verschiedenes passiert.« – »Ja, bei uns geht alles am Schnürchen«, sagte der Bursche mit der seitlich gedrehten Nase, »alles wie geschmiert. Wir brauchen jetzt wirklich keinen Führer mehr.« Alle glotzten ihn an. »Wir haben ja schon einen, um den uns die ganze Welt beneidet.« Alle lachten, bis auf ihn selbst, der mit dem Daumen an seine Nase drückte. »Achtzehn Mark?« sagte der Schiffer zu Georg. »Ich hab zwanzig gesagt«, sagte Georg. Er hatte die Augenlider gesenkt, weil es ihm vorkam, als müßte er sich durch den bloßen Glanz seiner Augen verraten. Der Schiffer befühlte den Stoff »Trägt sich das gut?« fragte er. »Ja«, sagte Georg, »bloß ist das Ding nicht recht warm. So ein

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