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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Georg, »dann muß ich ihr was ausrichten.«
     
    Er wartete neben den Körben, bis der Motor angelassen wurde. Dann trat er an den Wagen. Er fragte hinauf: »Sie sind doch die Frau Binder?« – »Was denn? Was denn?« fragte die Frau mißtrauisch und erstaunt. Georg nahm sie fest in seinen Blick. »Lassen Sie mich ‘ne Minute rauf«, sagte er, »ich erzähl’s Ihnen unterwegs, ich muß auch da lang.« Jetzt fuhr der Wagen los. Georg hielt sich fest. Ganz langsam, ganz umständlich begann er etwas zusammenzureimen, vom Spital, von entfernter Verwandtschaft. Jener Mensch vom Nachbartisch war inzwischen zu dem jungen Burschen hinausgegangen, mit dem er gesprochen hatte. »Was hat der Sie eben gefragt?« fragte er. »Ob die Frau die Frau Binder war«, sagte der Bursche verwundert.
     
     
     

6
     
    Mettenheimer, der Tapezierer, ging heim zum Essen, wenn seine Baustelle nicht weitab lag. Heute ging er zu Mittag in eine Wirtschaft, bestellte sich Schweinerippchen und Bier. Dem winzigen Lehrbuben spendierte er eine Erbsensuppe. Nachher bestellte er auch Bier für den Buben und fragte ihn aus, in der sicheren Art von Männern, die selbst ein paar Söhne großgezogen haben. Jemand kam durch die Tür und setzte sich und bestellte ein kleines Helles. Mettenheimer erkannte den Mann an seinem neuen Filzhut, morgens waren sie in der 29 zusammen gefahren. Er fühlte einen Augenblick ein schwaches, ihm selbst nicht bewußtes Unbehagen. Er hörte auf, mit dem Lehrling zu schwatzen, und stopfte die letzten Happen herunter. Er beeilte sich, auf den Bau zu kommen, um alles nachzuholen, was seiner Meinung nach durch die morgendliche Verspätung verschlampt worden war. Seiner Frau hatte er nichts von der Vorladung gesagt. Jetzt nahm er sich vor, auch nachher nichts zu sagen. Überhaupt wollte er dieses Verhör, diese verrückte Vorladung vergessen. Er kam ja von selbst doch nicht auf den Sinn. Wahrscheinlich gab es auch keinen. Die griffen sich irgendeinen heraus von Zeit zu Zeit. Wahrscheinlich gab es unter all den vielen Leuten in der Stadt noch mehr solche wie ihn, Herausgegriffene. Bloß sagte keiner dem andern etwas. Mettenheimer schimpfte von seiner Leiter herunter, weil man die Borte doch durch den Erker geklebt hatte. Er wollte von seiner Leiter herunter, um im Erdgeschoß nach dem Rechten zu sehen. Da war ihm auf einmal so schwindlig, daß er hocken blieb. Das Lachen der Weißbinder, die den Lehrbuben uzten, die helle Stimme des Lehrbuben, der nicht auf den Mund gefallen war, drangen durch das leere, luftige Haus, weit deutlicher als je die Stimmen der vergangenen und künftigen Bewohner, Stimmen, die sich am Hausrat dämpften, an all den Teppichen und Möbeln. Der Tapezierer schwankte auf seiner Leiter. Da schrie eine Stimme im Treppenhaus: »Feierabend!« Der Tapezierer schrie zurück: »Bis jetzt rufe ich noch Feierabend!«
     
    An der Haltestelle der 29 traf er schon wieder mit jenem kleinen filzhütigen Mann zusammen, der frühmorgens mit ihm hergefahren und dann im selben Wirtshaus getrunken hatte. Der muß auch hier zu tun haben, dachte Mettenheimer. Er stieg auch in die 29.
     
    Mettenheimer nickte ihm zu. Dann fiel ihm ein, daß er auch heut wieder das Wollpaket für seine Frau beim Portier hatte liegenlassen. Er war schon gestern dafür ausgeschimpft worden. Er stieg also wieder aus und kehrte um. Er beeilte sich, daß er mit seinem Päckchen auf die nächste 29 kam. Er war jetzt sehr müde. Er freute sich auf das Abendessen, überhaupt auf daheim. Plötzlich zog sich sein Herz zusammen in einem eigentümlichen frostigen Unbehagen. Der Mann mit dem neuen Filzhut, den er in der letzten 29 verlassen hatte, stand plötzlich auch auf dieser 29, auf der vorderen Plattform. Der Tapezierer wechselte seinen Platz, weil er den eigenen Augen nicht traute. Er hatte sich nicht geirrt. Jetzt kannte er schon den Hut, den ausrasierten Nacken, die kurzen Arme. Mettenheimer hatte nicht umsteigen wollen, sondern bis zur Zeil fahren und das letzte Stück zu Fuß gehen. Jetzt stieg er an der Hauptwache um in die 17. Er atmete auf, weil er allein war. Aber kaum war er auf der Plattform der 17, da hörte er schon im Rücken ein paar hastige Schritte, ein kurzes Schnaufen im Aufspringen. Der filzhütige Mann streifte ihn mit einem kurzen Blick, der ganz gleichgültig war und dabei doch ganz genau. Er drehte ihm dann den Rücken, da Mettenheimer, wenn er herausstieg, ja doch an ihm vorbei mußte. Und Mettenheimer verstand jetzt, daß

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