Das siebte Kreuz
Gesicht beguckt hatte, fing es zu lachen an. »Ätsch, da hab ich Sie angeschmiert, ätsch, da hab ich Sie schön geuzt. Weil Sie’s so eilig gehabt haben. Gelt, das haben Sie nicht gewußt?« Es hatte Angel und Eimer abgelegt und rieb sich die Oberschenkel. »Ich hab wenigstens meine Gesellschaft gehabt«, sagte das Hechtschwänzchen. Es ahnte nicht, wie nah es noch eine Sekunde vorher seinem Ende gewesen war. Georg hatte sich abgewandt und sein Gesicht mit der gesunden Hand zugedeckt. Er sagte mit unendlicher Anstrengung: »Na, auf Wiedersehen.« – »Heil Hitler!« sagte das Hechtschwänzchen. Aber in diesem Augenblick wurden die Weiden auseinandergebogen, ein Polizist mit einem Schnurrbärtchen auf der Oberlippe und einer einzelnen Strähne in seiner Stirn sagte vergnügt: »Heil Hitler, Hechtschwänzchen. Na, jetzt zeig mir auch mal deinen Anglerschein.« Das Hechtschwänzchen sagte: »Na, ich angle ja gar nicht.« – »Und deine Angel?« – »Na, die hab ich doch immer bei mir wie der Soldat sein Schießgewehr!« – »Und das Eimerchen?« – »Gucken Sie nur mal rein. Drei Nüßchen.« – »Hechtschwänzchen, Hechtschwänzchen!« sagte der Polizist. »Na und Sie? Haben Sie Papiere?« – »Das ist mein Freund«, sagte das Hechtschwänzchen. »Dann erst recht«, sagte der Polizist oder wollte es sagen, denn Georg war zuerst mit ein paar langsamen Schritten wie von ungefähr in die Weiden hineingegangen, jetzt aber ging er schneller, bog die Zweige auseinander, lief und lief. »Halt!« rief der Polizist, gar nicht vergnüglich mehr, gar nicht mehr leutselig, sondern schon ganz polizeimäßig rief er: »Halt! Halt!« Plötzlich rannten sie beide hinter ihm her, der Polizist und das Hechtschwänzchen. Georg ließ beide an sich vorbeilaufen. Wie das alles nach Westhofen stank, schimmernde Pfützen und Weiden und jetzt auch Pfeifen, und sein Herz, das so schlug, daß es ihn verraten mußte. Drüben am nahen Ufer eine Schwimmanstalt, Balken von Wasser überspült und dazwischen ein Floß. »Da ist er«, schrie das Hechtschwänzchen. Jetzt ging die Pfeiferei auch am Ufer los, fehlte nur die Sirene. Schlimmer als alles war das verdammte Absacken, diese Knie wie aus Papiermache und auch das Absacken in die Unwirklichkeit, weil einem all das gar nicht passieren konnte, weil das zusammengeträumt ist, aber man rennt und rennt. Er fiel längelang hin; quer über Schienen, wie er merkte. Er war vom Ufer weggerannt in ein Fabrikgebiet. Hinter der Mauer gab es ein gleichmäßiges Schnurren, aber kein Pfeifen mehr und keine menschlichen Stimmen. »Fertig«, sagte er, ohne selbst zu wissen, was er mit diesem Wort meinte, ob er mit seinen Kräften fertig war oder mit seiner Schwäche. Er wartete eine Weile gedankenlos auf irgendeine äußere Hilfe oder auf bloßes Aufwachen oder auf ein Wunder. Aber das Wunder blieb aus und die äußerliche Hilfe auch. Er stand auf und ging weiter. Er kam auf eine breite Straße mit doppelten Schienensträngen, die aber einsam war, weil sie nicht von Häuserreihen gesäumt wurde, sondern von einzelnen Fabrikanlagen. Da er sich sagte, daß jetzt das Ufer bewacht sein konnte, ging er wieder der Stadt zu. Viele Stunden verloren! Wie sie jetzt warten muß, dachte er, bis ihm einfiel in seiner Torheit, daß Leni nicht warten konnte, weil sie nichts wußte. Niemand half, niemand wartete. Hier soll es niemand geben, der warten würde, niemand, der helfen würde? Seine Hand tat ihm weh, auf die er jetzt wieder gefallen war; schmutzig der schöne Mull!
Buden wurden auf einem kleinen Platz abgeschlagen, einem Ableger des großen Marktes. Vor einer Wirtschaft hielt ein Zug Lastwagen. Er ging hinein. Er brach sein Fünfzigpfennigstück an und setzte sich vor ein Glas Bier. Sein Herz machte solche Sprünge, als sei da drinnen ungeheuer viel Platz. Aber es prallte mit jedem Sprung hart an. Lang mach ich das nicht mehr, dachte er, Stunden vielleicht, aber Tage nicht mehr. Einer vom Nachbartisch sah in scharf’an. Ob ich nicht diesem Kerl schon mal heut begegnet bin? Jetzt muß ich ran und rein wie ein toller Hund, da hilft nichts, nichts. Auf, Georg!
Drinnen und draußen gab es ziemlich viel Menschen, Gäste und Marktleute. Er sah sich alles genau an. Da war ein junger Mensch, der einer älteren Frau beim Aufladen half. Georg ging auf ihn zu, als er vom Wagen weg an die Körbe trat. »Sie! Wie heißt denn die Frau da oben?« – »Die da mit dem Dutt? Die Frau Binder.« – »Ja«, sagte
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