Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
Wollzeug hält wärmer.« – »Strickt mir meine Braut jede Saison.« – »Ja, das ist dann mit dem Herzen«, sagte Georg. »Willste tauschen?« Georg drückte die Augen zu wie beim Nachdenken. »Strupp mal über!« – »Geh mal mit an den Abort«, sagte Georg. Er ließ die Lacher sich auslachen. Sie durften nicht merken, daß er kein Hemd drunter trug. Als dann der Tausch perfekt war, lief er mehr als er ging rheinabwärts. Aufrecht in seiner frischen Jacke trat der Schiffer vom Abort ans Geländer zurück, auf seinem breiten Gesicht das Bewußtsein, wieder mal einen durch einen Tausch übers Ohr gehauen zu haben, eine Hand in der Hüfte, eine Hand grüßend erhoben. Anlassen wäre gefährlich gewesen, dachte Georg, tauschen war auch gefährlich. Jetzt ist’s wie’s ist. Plötzlich rief jemand neben ihm: »He!« Mit seinem Eimer und seiner Angel kam das Hechtschwänzchen nachgehüpft, leichtfüßig wie ein Büblein. »Wo wollen Sie denn hin?« fragte es. Georg deutete geradeaus: »Immer den Rhein entlang.« - »Sind Sie nicht von hier?« - »Nein«, sagte Georg. »Ich war hier in ‘nem Spital.  Ich will zu Verwandten.« Das Hechtschwänzchen sagte: »Wenn Ihnen meine Gesellschaft genehm ist. Ich bin ein durch und durch geselliger Mensch.«
     
    Georg schwieg. Er sah ihn nochmals kurz von der Seite an. Georg hatte immer von klein auf gegen ein starkes Gefühl von Mißbehagen kämpfen müssen, wenn an einem Menschen irgend etwas nicht stimmte, wenn er einen Tick hatte in seinem Verstand oder an seiner Seele oder irgendeinen körperlichen Fehler. Ganz und gar hatte ihn erst Wallau im Lager von solchen Anfällen geheilt. »Hier hast du ja ein Beispiel, Georg, wie ein Mensch zu so was kommen kann.« Georg dachte auf diesem Umweg wieder an Wallau. Eine unbezähmbare Schwermut erfaßte ihn. Dieses mein ganzes jetziges Leben verdanke ich ihm, dachte er, ja sogar, wenn ich heute sterben müßte. Und das Hechtschwänzchen schwatzte drauflos. »Waren Sie schon neulich hier, wie das große Fest war? Kommt einem alles ganz komisch vor. Waren Sie früher hier zur Besatzungszeit? Wie sie durch die Stadt geritten sind auf ihren Schimmelchen, die Marokkaner, mit ihren roten Mänteln, die Bettkultindianer? Kommt einem alles ganz komisch vor, die Franzosen, die waren doch so ein anderer Ton im Stadtbild, so ein graublau Nebelchen. Warum rennen Sie denn so, wenn ich fragen darf, wollen Sie heut noch nach Holland?« – »Kommt man da runter hin?« – »Na, zuerst kommen Sie mal nach Mombach, wo die Spargel wachsen. Wohnen da Ihre Verwandten?« – »Weiter unten.« – »In Budenheim? In Heidesheim? Sind die Bauern?« – »Teils.« – »Teils«, wiederholte das Hechtschwänzchen. Soll ich ihn abschütteln? dachte Georg, aber wie, zum Teufel? Nein, es ist immer besser zu zweit, mit mehreren. Man gehört dann mehr dazu. – Sie passierten die kleine Drehbrücke über dem Floßhafen. »Gott, wie einem die Zeit vergeht in Gesellschaft«, stellte das Hechtschwänzchen fest, als sei es von irgend jemand verpflichtet, die Zeit vergehen zu machen. Georg sah über den Rhein weg. Drüben, recht nah, auf einer Insel, standen drei niedrige weiße Häuser dicht beieinander, die sich im Wasser spiegelten. Irgend etwas an diesen Häusern, von denen das mittlere nach einer Mühle aussah, kam ihm vertraut vor und lockend, als hätte er jemand dort wohnen, der ihm lieb war. Über die Insel weg zum entfernten Ufer spannte sich die Eisenbahnbrücke. Sie passierten den Brückenkopf, auf dem ein Posten stand. »Sieht gut aus«, lobte das Hechtschwänzchen. Georg folgte dem Männlein vom Weg ab über den Wiesengrund. Einmal blieb es stehen und schnüffelte. »Nußbäumchen!« Es bückte sich und sammelte zwei, drei Nüsse in sein Eimerchen. Georg suchte hastig, knackte wie wild auf einem Stein mit seinem Absatz. Das Hechtschwänzchen fing zu lachen an. »Sie sind ja ganz versessen auf Nüsse!« Georg nahm sich zusammen. Er schwitzte und war erschöpft. Ewig mitrennen konnte dieses verdammte Hechtschwänzchen doch schließlich nicht. Irgendwo mußte es doch zu angeln anfangen. »Abgewartet und Tee getrunken«, sagte es, als er sachte fragte. Weidenbüsche begannen, die ihn an Westhofen erinnerten. Sein Mißbehagen wuchs. »So«, sagte das Hechtschwänzchen.
     
    Georg stierte geradeaus. Sie standen auf der Spitze einer Halbinsel. Vor ihnen lag der Rhein und rechts und links, es gab kein »Weiter«. Als das Hechtschwänzchen Georgs bestürztes

Weitere Kostenlose Bücher