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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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dieser Mann hinter ihm ausstieg und kein Entrinnen möglich war. Sein Herz schlug in heller Angst. Sein längst am Körper getrocknetes Hemd wurde nochmals quietschnaß. Was will er denn von mir, dachte Mettenheimer. Was hab ich denn getan? Was werd ich denn noch tun? Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich nochmals umzudrehen. Unter den vielen Hüten der abendlichen Menge, verspäteten Sommerhüten, verfrühten Filzhüten, kam der Erwartete in mäßiger Eile, als wüßte er schon im voraus, daß es den Tapezierer auf unerwartete Sprünge heut abend nicht mehr gelüste. Der Tapezierer überquerte die Straße. Bevor er in seine Haustür eintrat, drehte er sich schnell wieder um in einer Anwandlung von Mut, die solche Menschen ankommt, die in einem Winkel ihres Herzens bereit sind, sich in gewissen Fällen zur Wehr zu setzen. Das Gesicht des Verfolgers war dicht hinter ihm, ein dickliches, träges Gesicht mit schlechten Zähnen. Seine Kleidung war ziemlich schäbig bis auf den neuen Hut. Vielleicht war der Hut auch nicht neu, nur weniger schäbig. An dem ganzen Mann war an und für sich nichts Bestürzendes. Für Mettenheimer bestand das Bestürzende in dem unerklärlichen Widerspruch zwischen hartnäckiger Verfolgung und völliger Gleichgültigkeit.
     
    Als Mettenheimer in seinem Hausflur angelangt war, legte er sein Paket auf die Treppe und machte sich daran, die Haustür zu schließen, die über Tag mittels eines Hakens an der Flurwand befestigt wurde. »Wozu machst du das eigentlich, Vater?«, fragte plötzlich seine Tochter Elli, die gerade die Treppe herunterkam. »Es zieht«, rief Mettenheimer. »Was stört denn dich das oben in der Wohnung?« sagte Elli, »um acht Uhr wird man schon zumachen.« Der Tapezierer starrte sie an. Er spürte über die ganze Haut, daß drüben auf der anderen Seite der schmalen Straße jener Mann aufgepflanzt war und ihn und die Tochter beobachtete.
     
    Sie war im geheimen seine Lieblingstochter. Das wußte vielleicht der Mann, der da drüben Wache hielt. Auf welcher geheimen Regung wollte er ihn ertappen? Auf welcher offenen Missetat? Gab es nicht irgendein Märchen, in dem ein Vater dem Teufel verspricht, was ihm zuerst aus dem Haus entgegenkommt? Er hatte bisher vor der ganzen Familie, ja vor sich selbst verborgen, daß dieses Kind sein liebstes war. Warum, das wußte er auch jetzt nicht. Vielleicht aus zwei entgegengesetzten Regungen. Weil sie schön aussah, und weil sie ihm immer Kummer zugefügt hatte. Er freute sich, wenn ihn seine erwachsenen Kinder besuchten. Wenn aber Elli eintraf, dann zuckte sein Herz an der Stelle, an der es am aufrichtigsten froh ist und leidet. Gar manches prächtige Haus hatte er in Gedanken für diese Tochter austapeziert – durch manche Zimmerflucht war sie gelaufen, nicht weniger anmutig als jene kaltschnäuzigen, kurz angebundenen Dinger, die sich von ihren Männern ihre zukünftigen Häuser zeigen ließen. Elli berührte seinen Arm. Auf ihrem Gesicht, das in dem dichten, an den Schläfen und im Nacken geringelten Haar klein aussah wie ein Kindergesicht, entstand ein Ausdruck von Trauer und Zärtlichkeit. Sie erinnerte sich an den Tag, da ihr Vater auf einer Wirtshausbank in Westhofen ihren Kopf an sich gedrückt und ihr rauh zugeredet hatte, sich auszuweinen. Sie waren später nie mehr auf diesen Tag zu sprechen gekommen. Doch dachten wohl beide daran, sooft sie sich sahen. »Ich werde das Wollpaket gleich mitnehmen«, sagte Elli, »ich werd ja doch anfangen.« Der Tapezierer, der spürte, wie jener Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Blicke in dieses Päckchen bohrte, hatte jetzt selbst das Gefühl, die Tochter verstaue in ihrer Einkaufstasche etwas Unheilvolles, obgleich er doch wußte, daß nichts darin war als ein paar bunte Wollstränge. Ihr Gesicht war wieder heiter. Aus ihren Augen, goldbraun wie ihr Haar, kam ein warmer Glanz über ihr ganzes Gesicht. Hat dieser Kerl, der Georg, keine Augen gehabt, dachte der Vater, daß er sie sitzenließ? Ihre Heiterkeit schnitt ihm ins Herz. Er versuchte sich vor sie hinzustellen, damit kein Blick sie treffen konnte. Wenn ihm eine Falle gestellt war, dachte er wieder – dieses Kind war doch unschuldig. Aber Elli war groß und kräftig, und er war klein, zusammengeschrumpft. Er konnte sie nicht verstecken. Er sah gespannt auf die Straße, als sie hinausging, leicht und aufrecht, die Einkaufstasche schwenkend. Er atmete auf. Gerade hatte sich der Verfolger umgedreht gegen die

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