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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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fragte Georg. Auf einem Bänkchen standen zwei hohe schwarzlackierte Schaftstiefel. Daneben zwei Frauenhalbschuhe. Daneben ein offenes Büchschen Schmiere, ein paar Lappen. Sie sagte: »Jawohl.« Sie hatte sich hinter dem Küchen tisch verschanzt. Sie rief: »Ich zähl jetzt bis drei. Auf drei sind Sie weg, sonst –« Er lachte. »Was sonst?« Er zog den Socken von seiner Hand herunter, ein schwarzer, verfilzter Socken, den er irgendwo unterwegs gefunden und übergezogen, handschuhartig, um den Verband zu verstecken. Sie sah mit offenem Mund zu. Er kam um den Tisch herum. Sie hob den Arm vors Gesicht. Er packte sie mit der einen Hand am Haar, mit der anderen riß er den Arm herunter. Er sagte in einem Ton, mit dem man wohl eine Kröte anreden würde, von der man doch wüßte, daß sie einmal ein Mensch gewesen sei: »Hör auf, Leni, erkenn mich, ich bin der Georg.« Ihre Augen rundeten sich. Er hielt sie fest, wobei er es darauf anlegte, ihr die Schuhbürste aus der Hand zu drehen – trotz dem Schmerz in seiner eigenen verwundeten Hand. Sie sagte flehend: »Ich kenn dich doch nicht.« Er ließ sie los. Er trat einen Schritt zurück. Er sagte: »Gut. Dann gib mir das Geld heraus und die Kleider.« Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie, wieder ganz dreist, ganz neugeboren patzig: »Wir geben nichts an Fremde. Wir geben nur direkt an die Winterhilfe.«
     
    Er starrte sie an, aber anders als vorher. In seiner Hand ließ der Schmerz nach und mit dem Schmerz das
    Bewußtsein, daß all das ihm selbst geschah. Er spürte nur schwach, daß die Hand frisch nachblutete. Auf dem Küchentisch, auf dem blaukarierten Tischtuch, lagen zwei Gedecke. In die hölzernen Serviettenringe waren ungeschickt Hakenkreuzchen geschnitten – Kinderbastelei. Wurstscheiben, Radieschen und Käse waren mit Petersilie nett hergerichtet; dazu ein paar offene Schächtelchen, wie man sie in den Reformgeschäften kauft, Pumpernickel mit Knäckebrot. Er fuhr mit der heilen Hand auf dem Tisch herum, er stopfte sich, was ihm gerade zwischen die Finger kam, in die Tasche. Die Klickeraugen verfolgten ihn.
     
    Er drehte sich nochmals um, die Hand auf der Klinke.
     
    »Du willst mich wohl nicht frisch verbinden?« – Sie schüttelte zweimal ganz ernsthaft den Kopf.
     
    Er stützte sich beim Heruntersteigen auf dasselbe Treppenfenster. Er stützte den Ellenbogen auf und strubbte den Socken über die Hand. Sie wird ihrem Mann doch nichts sagen, weil sie sich fürchtet. Sie darf mich nie gekannt haben. Jetzt waren fast alle Fenster hell. All diese Blätter von einem Kastanienbaum, dachte er. Als ob der Herbst selbst diesem Baum innewohne, mächtig genug, um eine ganze Stadt mit Laub zuzudecken.
     
    Er schlürfte langsam den Straßenrand weiter. Er wollte sich vorstellen, daß eine Leni daherkäme vom anderen Ende der Straße, mit ihren langen fliegenden Schritten. Da wurde ihm erst klar, daß er nie mehr zu Leni gehen konnte, ja, was noch schlimmer war, nie mehr träumen konnte, er ginge zu Leni. Dieser Traum war ausgerottet mit Stumpf und Stiel. Er setzte sich auf eine Bank und fing gedankenlos an, ein Stück Zwieback zu kauen. Weil es kühl war und dämmerig und viel zu auffällig, hier zu sitzen, stand er gleich auf und lief weiter, den Schienen nach, denn Fahrgeld hatte er keins mehr. Wohin jetzt vor Nacht?
     
     
     

4
     
    Overkamp schloß hinter sich ab, um ein paar Minuten vor Wallaus Verhör allein zu sein. Er ordnete seine Zettel, sah seine Angaben durch, gruppierte, unterstrich, verband Notizen durch ein bestimmtes System von Linien. Seine Verhöre waren berühmt. Overkamp könnte einer Leiche noch nützliche Aussagen entlocken, hatte Fischer gesagt. Seine Anlagen zu den Verhören seien bloß mit Partituren zu vergleichen.
     
    Overkamp hörte hinter der Tür das schartige, ruckhafte Geräusch, das durch Salutieren verursacht wird. Fischer trat ein, schloß hinter sich ab. In seinem Gesicht kämpften Arger und Belustigung. Er setzte sich sofort dicht neben Overkamp. Overkamp mahnte ihn nur mit den Augenbrauen an die Anwesenheit der Wachtposten vor der Tür und an die Fensterspalte. »Wieder was los«, Fischer erzählte leise: »Diesem Fahrenberg ist die Sache ins Gehirn gestiegen. Er wird bestimmt verrückt darüber. Er ist es schon. Abgesägt wird er auf jeden Fall. Man muß Dampf dahintermachen. Hören Sie mal, was eben wieder passiert ist.
     
    Wir können doch keine extra Stahlkammer hier aufbauen, extra für diese drei wieder

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