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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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der ebenfalls dem Verhör beiwohnt, wendet den Kopf in der Richtung von Wallaus Augen. Er sieht aber nichts als die saftige, pralle Welt, die undurchsichtig ist und kernlos.
     
    »Ihr Vater hieß Franz Wallau, Ihre Mutter Elisabeth Wallau, geborene Enders.«
     
    Statt Antwort kommt Schweigen von den durchgebissenen Lippen. – Es gab einmal einen Mann, der Ernst Wallau hieß. Dieser Mann ist tot. Sie waren ja eben Zeuge seiner letzten Worte. Er hatte Eltern, die so hießen. Jetzt könnte man neben den Grabstein des Vaters den des Sohnes stellen. Wenn es wahr ist, daß Sie aus Leichen Aussagen erpressen können, ich bin toter als alle Ihre Toten.
     
    »Ihre Mutter wohnt in Mannheim, Mariengäßchen acht, bei ihrer Tochter Margarete Wolf, geborene Wallau. Nein, halt, wohnte –. Sie ist heute morgen in das Altersheim an der Bleiche sechs überwiesen worden. Nach der Verhaftung ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes wegen Fluchtbegünstigungsverdachts ist die Wohnung, Mariengäßchen acht, versiegelt worden.«
     
    Als ich noch am Leben war, hatte ich Mutter und Schwester. Ich hatte später einen Freund, der die Schwester heiratete. Solange ein Mann lebt, hat er allerlei Beziehungen, allerlei Anhang. Aber dieser Mann ist tot. Und was für merkwürdige Sachen auch nach meinem Tod mit all diesen Menschen dieser merkwürdigen Welt passiert sind, mich brauchen sie nicht mehr zu kümmern.
     
    »Sie haben eine Frau, Hilde Wallau, geborene Berger. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen: Karl und Hans. Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß ich jedenfalls Ihr Schweigen für Ja nehme.« Fischer streckt die Hand aus und verschiebt den Schirm der hundertkerzigen Lampe, die Wallau ins Gesicht strahlt. Das Gesicht bleibt wie es war im trüben Abendlicht. Auch kein tausendkerziges Licht könnte Spuren von Qual oder Furcht oder Hoffnung enthüllen in den spurlosen, endgültigen Gesichtern der Toten. Fischer schiebt den Schirm zurück.
     
    Als ich noch am Leben war, habe ich auch eine Frau gehabt. Wir hatten damals auch Kinder miteinander. Wir zogen sie auf in unserem gemeinsamen Glauben. Da war es für Mann und Frau eine große Freude, wie ihre Belehrungen anschlugen. Wie die kleinen Beine beim ersten Ausmarsch weit ausholten! Und Stolz und Ängstlichkeit in den kleinen Gesichtern, die schweren Fahnen könnten in ihren Fäusten umkippen! “Wie ich noch am Leben war in den ersten Jahren von Hitlers Machtantritt, als ich noch all das tat, wozu ich am Leben war, da konnte ich unbesorgt diese Knaben meine Verstecke wissen lassen, in einer Zeit, in der andere Söhne ihre Väter den Lehrern verrieten. Jetzt bin ich tot. Mag die Mutter allein sehen, wie sie sich mit den Waisen durchschlägt.
     
    »Ihre Frau ist gestern gleichzeitig mit Ihrer Schwester wegen Beihilfe zur Flucht verhaftet worden – Ihre Söhne wurden der Erziehungsanstalt Oberndorf überwiesen, um im Geiste des nationalsozialistischen Staates erzogen zu werden.«
     
    Als der Mann noch am Leben war, von dessen Söhnen hier die Rede ist, versuchte er nach seiner Art für die Seinen zu sorgen. Jetzt wird es sich bald herausstellen, was meine Fürsorge wert war. Da sind schon ganz andere umgefallen als zwei dumme Kinder. Und die Lügen so saftig und die Wahrheit so trocken. Starke Männer haben ihr Leben abgeschworen. Bachmann hat mich verraten. Aber zwei junge Knaben, auch das soll vorkommen, sind kein Haarbreit gewichen. Meine Vaterschaft jedenfalls ist zu Ende, wie auch der Ausgang sein mag.
     
    »Sie haben den Weltkrieg als Frontsoldat mitgemacht.«
     
    Als ich noch am Leben war, zog ich in den Krieg. Ich war dreimal verwundet, an der Somme, in Rumänien und in den Karpaten. Meine Wunden heilten, und ich kam schließlich gesund aus dem Feld. Bin ich jetzt auch tot, so bin ich doch nicht im Weltkrieg gefallen.
     
    »Sie sind dem Spartakusbund im Monat seiner Gründung beigetreten.«
     
    Der Mann, da er noch am Leben war, im Oktober 1918, trat dem Spartakusbund bei. Was soll das aber jetzt? Sie könnten ebensogut Karl Liebknecht zu einem Verhör bestellen, er würde ebensoviel, ebenso laut antworten. Laßt die Toten ihre Toten begraben.
     
    »Nun sagen Sie mal, Wallau, bekennen Sie sich auch heute noch zu Ihren alten Ideen?«
     
    Das hätte man mich gestern fragen sollen. Heute kann ich nicht mehr antworten. Gestern hätte ich ja rufen müssen, heute darf ich schweigen. Heute antworten andere für mich: die Lieder meines Volkes, das Urteil der

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