Das siebte Kreuz
eingebrachten Flüchtlinge. Wir haben uns doch mit dem Mann verständigt, daß er die drei nicht mehr anrührt, bis wir alle unter Dach haben. Nachher kann er von uns aus Würste mit ihnen füllen. Jetzt hat er sich die drei doch nochmals bringen lassen. Er hat da vor seiner Baracke Bäume stehen. Ich meine die Dinger, die keine Bäume mehr sind. Er hat sie heut früh schon kuppen lassen. Nun hat er die drei an die Bäume stellen lassen, so« - Fischer breitete die Arme aus, »die Dinger mit Nägeln und so präpariert, damit sich die Leute nicht anlehnen können, und hat die Gefangenen alle antreten lassen und ‘ne Ansprache gehalten, das hätten Sie sich anhören sollen, Overkamp. Ein Eidschwur, daß alle sieben Bäume besetzt sind, bevor die Woche neu anfängt. Und wissen Sie, was er zu mir gesagt hat? >Sie sehen, daß ich Wort halte, kein Schlag.<« – »Wie lang will er sie denn so stehen lassen?« – »Darum ist ja dann der Krach losgegangen. Denn werden sie noch vernehmungsfähig sein nach einer Stunde, nach anderthalb Stunden? Also gut. Er wird sie jetzt jeden Tag bloß dem Lager vorführen. Dieser Spaß wird sein letzter in Westhofen sein. Ich glaube, er bildet sich ein, wenn er alle sieben zurück hat, kann er hierbleiben.«
Overkamp sagte: »Wenn dieser Fahrenberg jetzt auch die Leiter herunterfällt, dann wird er unten so kolossal aufplumpsen, daß er gleich ein paar Sprossen hochschnellt auf einer neuen Leiter.«
»Ich habe mir«, sagte Fischer, »diesen Wallau von seinem dritten Baum abgepflückt.« Er stand plötzlich auf und öffnete das Fenster. »Sie bringen den Wallau auch schon. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen jetzt einen Rat gebe, Overkamp.« – »Der wäre?« – »Lassen Sie sich aus der Kantine ein rohes Beefsteak kommen.« – »Wozu?« – »Weil Sie eher aus diesem Beefsteak eine Aussage herausklopfen werden als aus dem Mann, den man Ihnen jetzt vorführt.«
Fischer hatte recht. Das wußte Overkamp sofort, als der Mann vor ihm stand. Er hätte die Zettel auf seinem Tisch ruhig zerreißen können. Diese Festung war uneinnehmbar. Ein kleiner, erschöpfter Mensch, ein häßliches kleines Gesicht, dreieckig aus der Stirn gewachsenes dunkles Haar, starke Brauen, dazwischen ein Strich, der die Stirn spaltete. Entzündete, dadurch verkleinerte Augen, die Nase breit, etwas klumpig, die Unterlippe ist durch und durch gebissen.
Overkamp heftet seinen Blick auf dieses Gesicht, den Ort der kommenden Handlung. In diese Festung soll er jetzt eindringen. Wenn sie, wie man behauptet, der Furcht versperrt ist und allen Drohungen, so gibt es doch andere Mittel, um eine Festung zu überrumpeln, die ausgehungert ist, ausgelaugt vor Erschöpfung. Overkamp kennt diese Mittel alle. Er weiß sie zu handhaben. Wallau seinerseits weiß, daß dieser Mann vor ihm alle Mittel kennt. Er wird jetzt mit seinen Fragen anfangen. Er wird zuerst die schwachen Stellen der Festung herausfragen, er wird mit den einfachsten Fragen beginnen. Er wird dich fragen, wann du geboren bist, und schon verrätst du die Sterne deiner Geburt. Overkamp beobachtet das Gesicht des Mannes, wie man ein Gemälde beobachtet. Er hat sein erstes Gefühl bei Wallaus Eintritt schon vergessen. Er ist zu seinem Grundsatz zurückgekehrt: es gibt keine uneinnehmbare Festung. Er sieht von dem Mann weg - auf einen seiner Zettel. Dann sticht er mit dem Bleistift ein Pünktchen hinter ein Wort, dann sieht er Wallau wieder an. Er fragt höflich: »Sie heißen Ernst Wallau?«
Wallau erwidert: »Ich werde von jetzt an nichts mehr aussagen.«
Darauf Overkamp: »Sie heißen also Wallau? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Ihr Schweigen jeweils für Bejahung nehme. Sie sind geboren in Mannheim am achten Oktober achtzehnhundertvierundneunzig.«
Wallau schweigt. Er hat seine letzten Worte gesprochen. Wenn man einen Spiegel vor seinen toten Mund hält, dann wird kein Hauch diesen Spiegel trüben.
Overkamp läßt Wallau nicht aus den Augen. Er ist fast ebenso reglos wie der Gefangene. Um einen Ton bleicher ist das Gesicht dieses Wallau geworden, ein wenig schwärzer der Strich, der die Stirn spaltet. Geradeaus ist der Blick des Mannes gerichtet, quer durch die Dinge der Welt, die plötzlich gläsern geworden ist und durchsichtig, quer durch Overkamp durch und die Bretterwand und die Posten, die draußen lehnen, quer durch auf den Kern, der nicht mehr durchsichtig ist und den Blicken der Sterbenden standhält. Fischer,
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