Das siebte Kreuz
ein Spänchen wie dich, dachte Frau Marnet, die ihren Mann überhaupt nie hatte leiden können. Darüber war sie freilich noch keinen einzigen Augenblick ihrer Ehe unglücklich gewesen. Unglücklich, hatte sie ihre Tochter vor der Hochzeit belehrt, kann man ja überhaupt nur werden, wenn man jemand leiden kann.
Franz betrat, während sein Pfannkuchen von seiner Kusine Auguste in zwei nach menschlichem Ermessen gleiche Hälften geteilt wurde, die Olympia-Lichtspiele, als es schon dunkel war. Die Menschen knurrten, weil er, indem er sich ungeschickt in die Platzreihe einschob, ein Stück von der Wochenschau wegnahm.
Franz hat schon im Kommen gesehen, daß der Platz neben seinem besetzt ist. Dann hat er Ellis Gesicht erwischt, weiß und starr, mit aufgerissenen Augen. Während er jetzt selbst auf die Wochenschau sieht, drückt er die Ellenbogen an sich, denn der Arm auf der gemeinsamen Lehne war Ellis Arm.
Warum konnte man nicht die Jahre auslöschen, seine Hand um ihr Handgelenk schließen? Er sah an ihrem Arm entlang, an ihrer Schulter, ihrem Hals. Warum konnte er nicht über ihr dichtes dunkles Haar streichen, sah das Haar doch aus, als ob es das jetzt brauchte. In ihrem Ohr glühte ein rotes Pünktchen. Hatte ihr denn inzwischen niemand andre Ohrringe geschenkt? Er runzelte die Stirn. Kein Wort zuviel, kein Gedanke zuviel. Daß er nachher in der Pause ein hübsches Ding ansprach, das zufällig neben ihm saß, daran war nichts Auffälliges, selbst wenn Elli hier mitten im Kino bespitzelt wurde. Er schämte sich plötzlich über das Durcheinander in seinem Kopf und seinem Herzen. Dieser Abschnitt der Wochenschau, der sekundenlang Bilder der Welt auf die Menschen warf wie eine jäh aufgerissene, jäh wieder zugeschlagene Tür, hätte jeden anderen Abend genügt, um sein Denken auszufüllen. Wie man mit seiner Hand die Sonne selbst zudecken kann, so deckte nun das nächste, Georgs Flucht, heute abend alles übrige zu. Mochte auch alles übrige die von Kriegen geschüttelte Welt sein, die ihn mitschüttelte. Aber vielleicht waren auch diese zwei Toten, die da übereinander auf der Dorfstraße lagen, selbst ein Franz und ein Georg gewesen.
Ich werde jetzt gebrannte Mandeln kaufen, dachte er, als es hell wurde. Er ging an Elli vorbei aus der Platzreihe. Sie sah ihn an, so nah wie man jemand ansehen kann – ohne ihn zu erkennen. Also ist Else doch nicht gekommen, dachte Elli, ob das Billett von ihr ist? Vielleicht ist die alte Frau neben mir ihre Mutter. Auf jeden Fall ist es ein Glück, hier im Kino zu sitzen. Die Pause soll herumgehen, es soll wieder dunkel werden.
Sie sah Franz an, als er zurückkam. Ihr Gesicht veränderte sich in einem Schimmer von Erkennen. Unbestimmte Erinnerungen, von denen sie selbst nicht mehr wußte, ob sie frohe oder traurige waren. »Elli«, sagte Franz. Sie sah ihn groß an. Sie hatte eine Empfindung von Trost, noch ehe sie sich recht auf den Franz besann. »Wie geht’s dir denn?« fragte Franz. Ihr Gesicht verfinsterte sich. Sie vergaß sogar, ihm zu antworten. Er sagte: »Ich weiß schon. Ich weiß alles. Sieh mich jetzt nicht an, Elli, hör genau, was ich sag. Nimm immerfort Mandeln raus und knabbere. Ich war gestern vor deinem Haus - sieh mich mal an und lach –.«
Sie betrug sich ganz geschickt. »Iß, iß«, sagte er. Er redete rasch und leise. Sie brauchte nur ja und nein zu sagen. »Besinn dich auf seine Freunde, du kennst vielleicht welche, die ich nicht kenne. Denk nach, wen er hier gekannt hat. Vielleicht kommt er doch noch in die Stadt. Sieh mich an und lach. Wir dürfen nachher nicht zusammenbleiben. Komm morgen ganz früh in die große Markthalle, dort helf ich meiner Tante. Bestell dort Äpfel, ich kann dann die Äpfel liefern, wir können uns sprechen. Verstehst du das alles?« – »Ja.« – »Sieh mich an.« In ihren jungen Augen war beinahe zuviel Vertrauen, nur Ruhe. Es hätte auch noch etwas anderes drin sein dürfen, dachte Franz. Sie lachte gezwungen. Sie sah ihn, als es dunkel wurde, rasch noch einmal an mit ihrem wirklichen ernsten Gesicht. Sie hätte jetzt vielleicht selbst gern seine Hand genommen, wenn auch nur aus Bangigkeit.
Franz drückte die leere Tüte in seiner Hand zusammen. Dann fiel ihm ein, daß es zwischen ihm und Elli nichts geben konnte, solange Georg, so oder so, im Land war. Er konnte froh sein, wenn er sie kurz wiedersah, ohne sie und sich selbst zu gefährden.
Jetzt aber saß sie neben ihm. Sie
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