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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Sie einen Lappen her.« Frau Marelli brachte ein Taschentuch. Sie maß ihn von oben bis unten. »Ja, Belloni hat Ihre Maße angegeben. Er hat einen Schneiderblick. Sie haben da wirklich einen Freund. Ein braver Mensch.« – »Ja.« – »Ihr wart zusammen engagiert?« – »Ja.« – »Wenn das Belloni nur durchhält. Er hat mir diesmal keinen guten Eindruck gemacht. Und Sie, was ist denn das mit Ihnen?« Sie betrachtete seinen abgemagerten Körper kopfschüttelnd, aber ohne andere Neugier als die einer Mutter, die eine Menge Söhne geboren hat, so daß sie für fast alle Vorkommnisse der Welt, ob sie den Körper betreffen oder die Seele, ihre Vergleiche bereit hat. Nur diese Art Frauen ist imstande, sogar den Teufel zu beruhigen. Sie half Georg beim Umkleiden. So undurchsichtig ihm ihre schwarzen Pailletteäugelchen blieben, er verlor sein Mißtrauen.
     
    »Der Himmel hat mir Kinder versagt«, sagte Frau Marelli, »um so mehr denke ich über euch nach, wenn ich an euren Sachen herumstichele. Auch Ihnen sage ich, Sie müssen achtgeben, daß Sie durchhalten. Ihr seid ja zwei schöne Freunde. Wollen Sie sich im Spiegel ansehen?« Sie führte ihn in das Nebenzimmer, in dem ihr Bett stand und ihre Nähmaschine. Auch hier lag alles voll von absonderlichen Kleidungsstücken. Sie verstellte die Flügel des großen dreiteiligen, beinahe prunkvollen Spiegels. Georg sah sich jetzt von der Seite, von vorn und von hinten in einem steifen Hut und gelblichen Überzieher. Sein Herz, das stundenlang ganz vernünftig geblieben war, fing bei diesem Anblick rasend zu klopfen an.
     
    »Jetzt können Sie sich sehen lassen. Wenn man schlecht aussieht, bekommt man erst recht nichts. Wo schon ein Hündchen hingemacht hat, sagt man bei uns, machen erst auch die anderen hin. Jetzt muß ich Ihnen noch ein Päckchen aus Ihren alten Klamotten machen.« Er ging hinter ihr her ins erste Zimmer zurück. »Ich hab hier eine Abrechnung angefertigt«, sagte Frau Marelli, »obwohl Belloni das unnötig fand. Abrechnen geht mir gegen den Strich. Sehen Sie zum Beispiel diese Kapuze, fast drei Stunden Arbeit. Aber sagen Sie selbst, kann ich jemand, der für einen einzigen Abend ein Hasenkostüm braucht, ein Viertel seiner Gage für das Zurechtnähen wegnehmen? Nun, sehen Sie, ich bekam zwanzig Mark von Belloni. Ich wollte die Arbeit gar nicht annehmen, Straßenanzüge repariere ich nur in Ausnahmefällen. Ich glaube, zwölf Mark ist nicht übertrieben. Hier sind also acht Mark. Grüßen Sie den Belloni, wenn Sie mit ihm zusammentreffen.« – »Ich danke Ihnen«, sagte Georg. Im Treppenhaus kam ihm noch einmal ein Argwohn, die Haustür könnte bewacht sein. Er war schon fast unten, da rief ihn die Frau, daß er sein Kleiderpäckchen liegengelassen hatte. »Herr, Herr«, rief sie. Er kehrte sich nicht daran, sondern sprang auf die Straße, die leer und still war.
     
     
     
    »Heut scheint der Franz überhaupt nicht zu kommen«, hieß es oben bei Marnets, »teil seinen Pfannkuchen den Kindern aus.«
     
    »Franz ist nicht mehr das, was er war«, sagte Auguste, »seit er drunten in Höchst arbeitet. Keine Hand rührt er mehr für uns.«
     
    »Der ist müd«, sagte Frau Marnet, die den Franz ganz gut leiden konnte.
     
    »Müd«, sagte ihr Mann, das Hutzelbäuerchen, »ich bin auch müd. Wenn ich mal bloß meine abgezirkelten Stunden Arbeit hätte, bei mir ist Achtzehnstundentag.«
     
    »Na, erinnre dich doch«, sagte Frau Marnet, »wie du vor dem Krieg in die Ziegelei gegangen bist, da bist du abends ganz krumm gewesen.«
     
    »Aber der Franz, der kommt nicht, weil er sich krumm geschafft hat«, sagte die Auguste, »ganz im Gegenteil, der wird das haben, was ihn anlockt, in Frankfurt oder in Höchst.« Alle Blicke richteten sich auf die Auguste, die da, die Nasenlöcher vor Tratsch gebläht, den letzten Pfannkuchen zuckerte. Ihre Mutter fragte: »Hat er was angedeutet?« – »Bei mir nicht.« – »Ich hab immer geglaubt«, sagte der Bruder, »daß sich die Sophie was aus dem Franz macht. Da hätte er sich wirklich in ein gemachtes Bett legen können.« – »Sophie aus Franz?« sagte die Auguste, »da hat die viel zuviel Feuer.« – »Feuer!« Alle Marnets waren erstaunt. Zweiundzwanzig Jahre war es her, seit im Nachbargarten die Windeln der Sophie Mangold geweht hatten, die nun, wie ihre Freundin Auguste behauptete, Feuer haben sollte. »Wenn sie Feuer hat«, sagte das Bäuerchen mit funkelnden Äugelchen, »braucht sie Spänchen.« Ja, grad so

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