Das siebte Kreuz
werden. Ist er wirklich ganz grün im Gesicht? Hat er wirklich das Zipperlein gekriegt? Ist er wirklich plötzlich verhutzelt?
Buchenbach liegt mainaufwärts, ein paar Fußstunden von Wertheim entfernt, aber sowohl von der Landstraße wie vom Fluß abgerückt, als ob es sich allem Verkehr entziehen wollte. Früher bestand es aus zwei Dörfern, Ober-und Unterbuchenbach, einer gemeinsamen Straße entlang, die genau in der Mitte gekerbt war durch einen Weg, der nach beiden Seiten feldeinwärts führte. – Voriges Jahr war aus dieser Wegkreuzung ein gemeinsamer Dorfplatz entstanden, auf dem man in Anwesenheit der Behörde unter allerlei festlichen Darbietungen und Reden die Hitlereiche gepflanzt hatte. Ober- und Unterbuchenbach wurden zusammengelegt im Zuge der Verwaltungsreformen und Flurbereinigungen.
Wenn ein Erdbeben eine blühende Stadt zerstört, fallen auch immer ein paar morsche Gemäuer ein, die sowieso baufällig waren. Weil nun dieselbe freche Faust, die das Recht erstickte, auch ein paar alte zwecklose Gepflogenheiten miterstickte, fühlten sich die Söhne des alten Wurz und ihre SA-Kumpane kühn und rebellisch vor all den Bauern, die sich der Zusammenlegung widersetzt hatten. Wurz auf seinem Melkschemel rang die Hände, daß es knackte. Da ihre Melkstunde noch nicht da war und ihre Euter noch nicht spannten, blieben die Kühe ganz unbewegt. Wurz fuhr alle Augenblicke zusammen, raffte sich auf, um gleich wieder zusammenzufahren. Er dachte: Hier kann er sich auch einschleichen, hier kann er mir auch auflauern. – Der Mann, den er solchermaßen fürchtete, war Aldinger, jener alte Bauer, den Georg und seine Genossen in Westhofen für nicht mehr recht im Kopf gehalten hatten. Der älteste Wurzsohn war einmal mit der jüngsten Al-dingertochter so gut wie verlobt gewesen, man hatte bloß ein paar Jahre warten wollen. Die Äcker hatten zusammengepaßt, sogar die zwei kleinen Weinberge auf der anderen Mainseite, mit denen man später, da sich der Wein nicht mehr lohnte, etwas anderes anfangen konnte. Damals war Aldinger Bürgermeister von Unterbuchenbach. Die Tochter verliebte sich dann im Jahre 30 in einen Burschen, der beim Wertheimer Straßenbau beschäftigt war. Aldinger ließ sie gewähren, ihm war es ganz vorteilhaft, der Bursche hatte sein Einkommen, das Paar zog in die Stadt. Im Februar 3 3 tauchte der Schwiegersohn kurz im Dorf auf, ohne daß man sich darum den Kopf zerbrach. Wie viele Arbeiter in den kleinen Städten, deren Gesinnung allzu bekannt war, zog er es vor, in der ersten Periode der Verhaftungen und Verfolgungen auf dem Lande bei Verwandten unterzukommen. Er war wieder weg, als Wurz auf den Rat seiner Söhne diesen Besuch der Staatspolizei anzeigte. Aldinger hatte inzwischen, da die Zusammenlegung der Dorfgemeinden bevorstand, eine Gruppe um sich geschart, die der Meinung war, wenn der Aldinger nicht Bürgermeister bleiben konnte, sollte auch Wurz nicht im Amt bleiben können, sondern ein Dritter den zusammengelegten Gemeinden vorstehen. Diese Gruppe war durch den Pfarrer bestärkt, der in Unterbuchenbach lebte und predigte, da nun einmal Kirche und Pfarrhaus dort aufgebaut waren.
Der Schwiegersohn war nun wirklich gesucht worden, da er Jahre hindurch für seine Gewerkschaft kassiert hatte, auch für eine kleine Arbeiterzeitung. Dabei war niemals einem Buchenbacher, so voreingenommen man gegen Ortsfremde war, an diesem ruhigen Mann etwas Sonderbares aufgefallen, wenn er zur Erntezeit bei den Aldingers mithalf gegen Brot und Würste für seine nach und nach fünfköpfige Familie. Er hatte sich bloß mit den Wurzsöhnen im Wirtshaus gestritten, die damals schon mit der SA liebäugelten. Das hatte sie später darauf gebracht, ihren Vater zu beraten.
Wurz war fast erschrocken gewesen, wie gut der Rat geklappt hatte. Man hatte den Aldinger wirklich geholt. Ihm, Wurz, war nur daran gelegen gewesen, den Aldinger wegzuhaben, bis er selbst im Amt bestätigt war. Er hätte sogar seinen Spaß daran gehabt, sich an Aldingers Ärger zu laben. Das hatte nicht recht geklappt – aus unerfindlichen Gründen war Aldinger weggeblieben. Wurz hatte in den ersten Monaten einen schweren Stand gehabt. Die Unterbuchenbacher hatten ihn gemieden, ihm jede Amtshandlung, jeden Kirchgang sauer gemacht. Seine Söhne hatten ihn aber getröstet und die Freunde seiner Söhne: die neuen Männer, der Führer ebensogut wie Wurz, mußten in ihren Pflichten verharren trotz aller Anfangsschwierigkeiten und
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