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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Anfeindungen.
     
    Sieht man von einem Flugzeug herunter auf Buchenbach, dann freut man sich, wie es reinlich und ordentlich daliegt, mit seinem Kirchturm und seinen Feldchen und Wäldchen. Fährt man durch, ist es ein bißchen anders, aber nur, wenn man Lust und Zeit hat, scharf hinzusehen. Zwar sind die Wege alle sehr sauber, und das Schulhaus ist frisch gestrichen, aber warum muß die Kuh noch ziehen, da sie doch trächtig ist? Warum sieht sich das Kind scheu um, das seine Schürze voll Gras zusammengerupft hat? Weder vom Flugzeug aus noch beim Durchfahren kann man den Bauer Wurz auf seinem Schemel sitzen sehen. Man kann nicht sehen, daß es in keinem Stall mehr als vier Kühe gibt, daß es in den beiden zusammengelegten Dörfern nur zwei Pferde gibt. Weder im Drüberfliegen noch im Durchfahren kann man sehen, daß von den beiden Pferden eines dem Wurzsohn gehört und das andere vor etwa fünf Jahren auf nicht ganz geheure Weise nach der Auszahlung einer Brandversicherung an den Besitzer kam. (Kürzlich hat man bei der Bauernschaft die Aufrollung des Prozesses beantragt.) Dieses stille, saubere Dorf ist arm, bitterarm, wie irgendein Dorf, das vor Armut stinkt. Ändern wird Hitler den Boden nie können, hieß es zuerst. Näher heran an den Wein kann er uns nicht schieben. Alois Wurz wird uns nie sein Pferd zum Ziehen leihen. Eine Dreschmaschine fürs ganze Dorf auf Ratenzahlung? Das war ja sowieso geplant.
     
    Erntedankfest? Hat es denn nicht jeden Herbst Karusselle und Buden gegeben? Aber die Jungen, als sie am Montag aus Wertheim zurückkamen, meinten, so etwas sei denn doch noch nie dagewesen. Hatte man je, seit man lebte, dreitausend Bauern zusammen gesehen? Je ein solches Feuerwerk? Je solche Musik gehört? Wer hat schließlich dem Stellvertreter des Reichsbauernführers den Blumenstrauß überreichen dürfen? Nicht die Agathe von dem Alois Wurz, sondern die kleine Hanni Schulz III aus Unterbuchenbach, die nicht das Schwarze unter dem Nagel hat.
     
    Näher heran an die Stadt hat man das Dorf nicht schieben können, festen Markt hat man immer noch nicht. Aber die Stadt kommt jede Woche heraus, der Wagen mit dem Kino. Auf der Leinwand im Schulhaus sieht man den Führer in Berlin, sieht man die ganze Welt, China und Japan, Italien und Spanien.
     
    Wurz auf seinem Schemel dachte: Dieser Aldinger hat sowieso ausgespielt gehabt. Wo hat er bloß zuletzt gesteckt? Keiner hat mehr an den Mann gedacht.
     
    Was die Leute in Buchenbach am meisten verblüfft hatte, war die Sache mit der Domäne. Sie war immer Domäne gewesen. Jetzt legte man auf der Domäne eine Art Musterdorf an. Dreißig Familien aus allen Dörfern im weiten Umkreis wurden dort angesiedelt. Hauptsächlich solche Bauern, die noch ein Handwerk verstanden und viele Kinder hatten. Aus Berblingen hatte man den Schmied geholt, aus Weilerbach den Schuhmacher, aus vielen Dörfern hatte man jeweils eine Familie gesiedelt, nächstes Jahr würde man nochmals siedeln. Hoffnung war in jedem Dorf. Das war wie das Große Los. Jeder kannte eine Familie, die es getroffen hatte, mindestens im Nachbardorf. Langsam begriffen manche, die dem Wurz sonst wegen dem Aldinger feind waren, daß dieser Wurz, als er damals seinen Söhnen erlaubt hatte, zur SA zu gehen, auf die richtige Karte gesetzt hatte. Wenn man auf dieses Domänendorf ein Anrecht haben wollte, wenn man das ganze Jahr durch nur ein klein wenig Hoffnung auf das Domänendorf haben wollte, mußte man Wurz, durch dessen Hände die Akten der Dorfleute gingen, mindestens seine Feindschaft nicht allzusehr merken lassen. Ja, man durfte sich nicht einmal allzuoft bei den Aldingers zeigen; um diese Leute bildete sich allmählich ein dünner Reif. Man fragte auch nicht mehr nach dem Aldinger, vielleicht war er wirklich schon tot. Aldingers Frau trug sich immer schwarz, kniff die Lippen zusammen, ging viel in die Kirche, wozu sie stets einen Hang gehabt hatte. Seine Söhne gingen nie ins Wirtshaus.
     
    Erst gestern früh, als die Flucht aus dem Radio herauskam, hatte sich wieder alles verändert. Jetzt wollte niemand mehr in Wurzens Haut stecken. Aldinger war ja ein starker Mann gewesen, würde sich schon eine Flinte verschaffen, wenn er wirklich ins Dorf hineinkam. Was dieser Wurz getan hatte, war doch ein großes Unrecht gewesen: falsches Zeugnis wider deinen Nächsten. Seinetwegen ist jetzt das ganze Dorf umstellt. Der SA-Sturm, zu dem auch Wurz’ eigene Söhne gehören, bewacht das Anwesen. Nützen wird ihm das

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