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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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alles nichts. Aldinger kennt ja das Land, er wird plötzlich auftauchen, plötzlich wird Wurz seine Kugel weghaben, uns wird das nicht wundern. Die Bewachung wird ihm nichts nützen. Er muß ja mal auf die andere Mainseite. Er muß ja auch mal ins Holz.
     
    Wurz fuhr zusammen. Jemand kam angeschlürft. Er erkannte seine älteste Schwiegertochter, Alois’ Frau, am Geklapper der Milcheimer. »Was machst denn du hier?« sagte die Frau, »die Mutter sucht dich.« Sie sah ihm durch die Stalltür nach, wie er durch den Hof schlich, als sei er selbst der Eindringling. Sie verzog den Mund. Wurz hatte sie immer herumkommandiert, seit sie hier eingeheiratet hatte; sie gönnte ihm den Schaden.
     
     
     

2
     
    Wenn auch die Akten Bellonis, soweit sie Westhofen angingen, durch seinen Tod geschlossen waren, gab es doch noch ein paar offene Akten, die andere Abteilungen angingen. Diese Akten waren gar nicht, wie man das Akten gewöhnlich nachsagt, am Verstauben und Vermodern. Am Vermodern war nur Belloni, seine Akten waren frisch geblieben. Wer hat ihn eigentlich verpflegt? Wer hat ihn eigentlich gesprochen? Wer sind diese Leute, die es also doch noch in der Stadt geben muß? Durch Herumhorchen in Artistenlokalen kam man schon Mittwochnacht auf die Frau Marelli, die alle ein wenig kannten. Diese Nacht war noch nicht ganz vorbeigegangen – Wurz, der Bürgermeister von Buchenbach, saß noch auf seinem Melkschemel -, als sie schon zu der Frau Marelli heraufkamen. Sie lag nicht im Bett, sondern saß bei der Lampe und nähte Metallschüppchen an ein Röckchen, das einer Frau gehörte, die Mittwochabend im Schumanntheater aufgetreten war und mit dem Frühzug auf ihr Donnerstagengagement fahren wollte. Bei der Ankunft der Polizei und der Eröffnung, sie müsse sofort in dringender Sache zu einer Vernehmung mitkommen, war sie sehr bestürzt, aber nur, weil sie der Tänzerin diesen Rock für sieben Uhr in die Hand versprochen hatte. Die Vernehmung selbst war ihr gleichgültig, sie hatte schon manche hinter sich. Außerdem ließ sie eine SA- oder SS-Uniform ebenso kalt wie das Blinken der Ausweismarken der Geheimpolizisten; sei es, daß sie zu den wenigen Menschen gehörte, die gar kein Schuldbewußtsein haben, sei es, daß sie durch die Erfahrung ihres Berufes gewitzigt war, wie man allein durch äußere Anhängsel und auswechselbare Kostümierungen seltsame Wirkungen hervorruft. Sie legte ein Tütchen Metallschuppen und das Nähzeug zu dem halbfertigen Rock, schrieb einen Zettel, band das Päckchen an die äußere Türklinke; dann folgte sie ruhig den beiden Geheimpolizisten, fragte auch nichts, da ihre Gedanken bei dem Rock an der Türklinke waren, und erstaunte sich erst, als sie in einem Krankenhaus landeten.
     
    »Kennen Sie diesen Mann?« fragte einer der beiden Kommissare. Sie schlug das Tuch zurück. Bellonis
    regelmäßiges, beinahe schönes Gesicht war erst ganz leicht entstellt, man könnte sagen, vernebelt. Die Kommissare erwarteten einen jener üblichen Ausbrüche von geheuchelter oder echter Wildheit, die die Lebenden bei solchen Gelegenheiten den Toten schuldig zu sein glauben. Aber die Frau stieß nur ein kleines »Oh!« aus, in dem Ton von: wie schade!
     
    »Sie erkennen ihn also?« sagte der Kommissar, »Selbstverständlich«, sagte die Frau. »Der kleine Belloni!«
     
    »Wann haben Sie mit diesem Mann zum letztenmal gesprochen?«
     
    »Gestern – nein, vorgestern früh«, sagte die Frau. »Ich war noch erstaunt, weil er so früh kam. Ich habe ihm noch ein paar Stiche an seinem Rock nähen müssen. Er war auf der Durchreise –«
     
    Sie sah sich unwillkürlich nach dem Rock um. Die Kommissare beobachteten sie, wobei sie sich ihren gegenseitigen Eindruck zunickten, die Frau sei wahrscheinlich aufrichtig, wenn das auch nicht felsensicher war. Die Kommissare warteten ruhig, bis ihre Rede ausgetröpfelt war. Es kamen noch immer Tropfen nach. »Ist es bei der Probe passiert? Haben sie denn hier noch geprobt? Ist er denn hier nochmals aufgetreten? Sie wollten doch mit dem Mittagszug nach Köln.«
     
    Die Kommissare schwiegen. »Er hat mir erzählt«, fuhr die Frau fort, »daß er in Köln engagiert sei. Ich hab ihn noch gefragt: >Mein lieber Kleiner, bist du denn wieder ganz in Form?< Wie ist denn das passiert?«
     
    »Frau Marelli«, schrie der Kommissar. Die Frau sah überrascht, aber ohne Schrecken auf. »Frau Marelli«, sagte der Kommissar mit dem groben unnatürlichen Ernst, mit dem Kriminalbeamte solche

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