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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Mitteilungen machen, da ihnen nur ihre Wirkung, nicht ihr Inhalt wichtig ist. »Belloni ist nicht in seinem Beruf ums Leben gekommen, er ist auf der Flucht verunglückt.« – »Auf der Flucht? Auf welcher Flucht denn?«
     
    »Auf der Flucht aus dem Lager Westhofen, Frau Marelli.« – »Wie, wann? – Er war doch vor zwei Jahren im Lager. War er denn nicht längst frei?« – »Er war noch immer im Lager, er ist ausgebrochen. Sie wollen das nicht gewußt haben?«
     
    »Nein«, sagte die Frau bloß, aber in einem Ton, daß die Kommissare endgültig sicher wurden, daß sie nichts von alledem gewußt hatte.
     
    »Jawohl, auf der Flucht. – Er hat Sie gestern belogen –«
     
    »Ach, der arme Teufel!« sagte die Frau.
     
    »Arm?«
     
    »War er vielleicht reich?« sagte Frau Marelli.
     
    »Jetzt kein Geschwätz!« sagte der Kommissar. Die Frau runzelte die Stirn. »Na, setzen Sie sich mal ruhig hin. Warten Sie, wir lassen Ihnen Kaffee bringen, Sie sind ja noch nüchtern.«
     
    »Das macht mir nichts«, erklärte die Frau mit ruhiger Würde. »Ich kann warten, bis ich wieder daheim bin.« Der Kommissar sagte: »Bitte, erzählen Sie uns jetzt ganz genau, wie sich Bellonis Besuch bei Ihnen zugetragen hat. Wann er kam, was er von Ihnen gewollt hat. Jedes Wort, das er Ihnen gesagt hat. Halt, einen Augenblick! Belloni ist tot, aber das schützt Sie nicht davor, in den schwersten, in den allerschwersten Verdacht zu kommen. Das hängt alles von Ihnen selbst ab.«
     
    »Mein Sohn«, sagte die Frau, »Sie täuschen sich wahrscheinlich über mein Alter. Mein Haar ist gefärbt. Ich bin fünfundsechzig Jahre alt. Ich habe mein ganzes Leben schwer gearbeitet, obwohl viele, die das Metier nicht kennen, sich ein falsches Bild von unserer Arbeit machen. Selbst jetzt muß ich noch schwer arbeiten. Womit drohen Sie mir eigentlich?« – »Mit dem Zuchthaus«, sagte der Mann trocken. Frau Marelli riß die Augen auf wie Eulenaugen. »Denn Ihr Freundchen, dem Sie zur Flucht verholfen haben könnten, hat ja allerhand auf dem Kerbholz. Wenn er sich seinen Hals nicht selbst gebrochen hätte, dann – vielleicht –« Er fuhr mit der Handfläche kurz durch die Luft. Frau Marelli fuhr zusammen. Aber dann zeigte es sich, daß sie zusammengefahren war, weil ihr etwas einfiel. Sie ging mit einem Gesichtsausdruck, als ob man durch all das Gerede das Wichtigste vergessen hätte, zu Bellonis Bett zurück und zog das Tuch wieder über das Gesicht des Toten. Man sah ihr an, daß sie diesen Dienst nicht zum erstenmal leistete.
     
    Dann knickten ihr aber die Knie ein. Sie setzte sich und sagte ruhig: »Lassen Sie doch Kaffee kommen.«
     
    Die Kommissare waren jetzt ungeduldig, weil jede Sekunde zählte. Sie stellten sich rechts und links an den Stuhl, und kreuzten, glatt aufeinander eingearbeitet, ihre Fragen.
     
    »Wann kam er genau? Wie war er gekleidet? Warum kam er? Was verlangte er? Mit welchen Worten? Womit zahlte er? Haben Sie diesen Schein noch, auf den Sie ihm herausgaben?«
     
    Ja, sie hatte ihn sogar bei sich in der Handtasche. Der Schein wurde notiert, das herausgegebene Geld mit der Summe verglichen, die man bei dem Toten gefunden hatte. Fehlte allerhand. Hat denn Belloni vor seinem Spazierritt über die Dächer noch etwas eingekauft? »Nein«, sagte die Frau, »er hat noch etwas bei mir zurückgelassen, er war es noch jemand schuldig.«
     
    »Haben Sie es schon ausgegeben?« – »Glauben Sie, daß ich das Geld eines Toten unterschlage?« fragte Frau Marelli. – »Ist es abgeholt worden?«
     
    »Abgeholt?« fragte die Frau, nicht mehr vollständig sicheren Tones, denn sie war sich schon klar, daß sie ein para Worte mehr gesagt hatte, als sie wollte.
     
    Die Kommissare stoppten. »Danke, Frau Marelli. Wir werden Sie jetzt gleich im Auto wieder heimbringen. Bei dieser Gelegenheit können wir uns ja ein bißchen bei Ihnen umsehen.«
     
    Overkamp wußte nicht, ob er pfeifen oder blasen sollte, als die Meldung nach Westhofen kam, in der Wohnung der Frau Marelli sei der Pullover gefunden worden, den der Flüchtling Georg Heisler durch Umtausch der Samtjacke von dem Schiffer erworben hatte. Heisler könnte vielleicht schon unter Dach und Fach sein, wenn man nicht auf die Aussage des Gärtnerlehrlings, des blöden Bengels, gebaut hätte. Die eigene Jacke nicht erkennen! War das möglich? Stimmte da was nicht? Was? Heisler war also doch in die eigene Stadt gegangen. Blieb die Frage, ob er sich weiter dort zu verbergen suchte, bis

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