Das siebte Tor
Dann war es großartig. Sie besaß riesige, kraftvolle
Schwingen, krallenbewehrte Vorderpranken, einen langen, anmutigen Hals,
dolchscharfe Zähne. Sie war riesig und ehrfurchtgebietend, und wenn sie auf
ihre Feinde niederstieß, flohen sie in panischem Entsetzen. Sie war Alfred, der
Drachenmagier.
Sie kreiste schützend über Abri, säte Furcht
unter die Angreifer und warf jene in den Staub, die kühn genug waren, den Kampf
aufzunehmen. Sie sah Fürst Xar und Haplo – winzige, unbedeutende Geschöpfe-,
und sie empfand Alfreds Sorge um seine Freunde, seine Entschlossenheit, ihnen
beizustehen…
Plötzlich ein Schatten, aus den Augenwinkeln
erspäht ein verzweifelter Versuch auszuweichen – zu spät. Etwas rammte sie
seitlich mit Wucht, und sie drehte sich mehrmals um die eigene Achse, konnte
sich nicht halten und stürzte in einer Spirale dem Boden entgegen. Heftig mit
den Flügeln schlagend, gewann sie langsam wieder Höhe, und im selben Moment,
als sie ihren Gegner erspähte – einen roten Drachen –, griff er sie erneut an.
Verworrene Bilder von einem Fall, unaufhaltsam,
dem Aufprall… Marit krümmte sich vor Schmerzen und biß sich auf die Lippen, um
nicht zu schreien. Ein Teil von ihr war Alfred, doch ein anderer Teil war immer
noch in der Höhle des Drachen und sich der Gefahr bewußt.
Sie konnte Hugh sehen, der in angespannter
Haltung den Hintergrund der Höhle beobachtete. Er wandte sich ihr zu,
gestikulierte, sagte etwas. Sie konnte es nicht hören, aber sie verstand auch
so.
Der Drache kam.
»Alfred!« Marit umklammerte die Handgelenke des
Sartan fester. »Alfred, wach auf!«
Er regte sich und stöhnte, seine Lider zuckten,
und ein Schwall furchtbarer Erinnerungen überflutete Marit – der brennende,
lähmende, betäubende Schmerz des Drachengifts; brodelnde, sengende Dunkelheit;
ein Erwachen in Qual und Pein. Marit konnte die Schreie nicht länger
zurückhalten.
Und der Drache glitt in die Höhle.
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Kapitel 4
Im Labyrinth
Der Drache hatte sich die ganze Zeit über in den
Schatten der Felsenkammer verborgen gehalten, die beiden selbstlosen Retter
beobachtet und auf den geeigneten Moment gewartet, wenn sie am schwächsten, am
verwundbarsten waren, um anzugreifen. Ein seltener Glücksfall, daß man ihn in
seiner Höhle beehrte, denn die Patryn wußten, daß es sinnlos war, ihm seine
Beute entreißen zu wollen, und folgten ihm nicht. Er hatte diese beiden schon
im Wald bemerkt und angenommen, daß sie auf der Suche nach ihrem Freund waren.
Natürlich lockte es ihn, sie zu greifen, doch wegen seiner Verletzung fühlte
er sich einem Kampf nicht gewachsen und hatte sich wohl oder übel mit einem
Opfer begnügt.
Zu seiner größten Wonne stellte er fest, daß sie
die Verfolgung aufnahmen. Patryn waren nicht oft so töricht, aber diesen
beiden haftete eine merkwürdige Witterung an. Der Mann hatte einen
fremdartigen Geruch, wie ihn der Drache im Labyrinth noch nie wahrgenommen
hatte. Die Frau verstand der Drache gut. Sie war eine Patryn und verzweifelt.
Die Verzweifelten sind oftmals töricht.
In seinem Schlupfwinkel angelangt, nahm der
Drache sich viel Zeit, das Ding zu foltern, das er gefangen hatte das
Ding, das ein Drache gewesen war, um sich unversehens in einen Menschen zu
verwandeln. Das Ding verfügte über starke Magie; es war kein Patryn, aber es
war einem Patryn ähnlich. Der Drache war fasziniert, jedoch nicht so sehr, daß
er sich bewogen gefühlt hätte, der Sache auf den Grund zu gehen. Zu seinem Mißvergnügen
erwies sich das Wesen als wenig unterhaltsam. Es war beklagenswert schwach und
schien nach kurzer Zeit schon dem Tode nahe zu sein.
Gelangweilt und zudem geschwächt von seiner
Verletzung, hatte der Drache sich in den inneren Bereich seiner Höhle
zurückgezogen, um seine Wunden zu heilen und auf Beute besserer Qualität zu
warten.
Seine Erwartungen wurden übertroffen. Die Patrynfrau
erwies ihm tatsächlich den Gefallen, das Ding zu heilen, so daß es nun
vielleicht noch bis zum nächsten Abend gute Dienste leisten konnte. Und die
Patrynfrau – sie war jung und stolz, an ihr würde er lange seine Freude haben.
Der Mann gab dem Drachen Rätsel auf. Er war derjenige mit dem fremden Geruch
und ohne jede Magie. Kein gutes Spielzeug, doch er sah groß und kräftig aus.
Zumindest konnte er als akzeptable Mahlzeit dienen.
Der Drache wartete ab, bis die Runenmagie der Patrynfrau
von dem Heilungsprozeß in Anspruch
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