Das siebte Tor
zu.
Die Magie wirkte, die Möglichkeit wurde real.
Risse entstanden in der Straße, ein Loch gähnte im Basalt. Alfred sprang hinein
und zerrte Marit hinter sich her. Beide stürzten durch Schutt und Staub in die
Dunkelheit.
Es war kein tiefer Fall. Wie Alfred von seinem
letzten Aufenthalt wußte, erhob sich der oberirdische Teil von Nekropolis über
einem weit in die Tiefe reichenden Netzwerk natürlicher oder künstlich
angelegter Stollen. Er hatte angenommen (oder wenigstens inständig gehofft),
daß unter der Straße, in der sie sich befanden, einer der zahllosen Gänge
verlief. Erst nachträglich war ihm eingefallen, daß unter der Stadt auch
riesige Magmateiche lagen…
Sie hatten Glück und landeten tatsächlich in
einem Tunnel. Licht strömte durch die Öffnung über ihnen. Die Patryn hatten
sich um das Loch versammelt, spähten zu ihnen hinunter und sprachen aufgeregt
miteinander.
»Du mußt es schließen!« rief Marit und
schüttelte Alfred. »Sie werden uns nachkommen!«
Alfred, einen Moment lang wie gelähmt von dem Gedanken,
daß sie ebensogut in einem brodelnden Lavatümpel hätten enden können, kam zu
sich und beschwor die Möglichkeit, daß das Loch nicht existierte.
Die Öffnung verschwand, und pechschwarze Dunkelheit
umgab sie, nur dürftig erhellt vom Schimmer der eintätowierten Runen auf Marits
Haut.
»Alles… alles in Ordnung?« erkundigte sich
Alfred mit bebender Stimme.
Anstelle einer Antwort gab Marit ihm einen Stoß
in den Rücken. »Lauf!«
»Wohin?«
»Egal.« Sie wies zur Decke. »Vergiß nicht, auch
sie verfügen über Magie!«
Das Runenlicht reichte gerade so weit, daß sie
ein paar Schritte voraus sehen konnten. Sie liefen den Gang hinunter, ohne zu
wissen, wohin er führte, nur in der Hoffnung, mögliche Verfolger abzuschütteln.
Endlich blieben sie stehen und lauschten.
»Ich glaube, wir sind sie los«, meinte Alfred
hoffnungsvoll.
»Aber dafür haben wir uns verirrt. Und kommt es
dir nicht auch so vor, als hätten sie gar nicht versucht, uns einzuholen?«
Marit runzelte die Stirn. »Merkwürdig.«
»Vielleicht wollten sie erst Fürst Xar Meldung
machen.«
»Kann sein.« Sie schaute den dunklen Gang hinauf
und hinunter. »Wir müssen herausfinden, wo wir sind. Ich habe keine Ahnung. Und
du?«
»Ich auch nicht.« Alfred schüttelte den Kopf.
»Aber ich weiß, wie man es feststellen kann.«
Er kniete nieder, strich mit den Fingerspitzen
über die Wand und sang leise vor sich hin. Flackernd erwachte eine Rune zum
Leben. Die blaue Glut sprang auf das nächste Zeichen über, bis eine gedämpft
schimmernde Reihe von Glyphen am Fuß der Wand entlanglief.
Marit stieß den Atem durch die
zusammengebissenen Zähne. »Die Sartanrunen. Daran habe ich gar nicht mehr
gedacht. Wohin führen sie uns?«
»Wohin wir wollen.«
»Zu Haplo.«
Alfred hörte den Unterton der Hoffnung in ihrer
Stimme. Er selbst wagte nicht zu hoffen. Eine kalte Hand griff nach seinem
Herzen, wenn er sich vorstellte, was sie vielleicht erwartete.
»Wo könnte Xar Haplo hingebracht haben? Nicht in
seine Privatgemächer?«
»In die Katakomben«, antwortete Marit. »Dorthin
wurden auch Samah und die anderen gebracht, die er…«Ihre Stimme brach, sie
wandte sich ab. »Beeilen wir uns. Sie werden uns bald auf den Fersen sein!«
»Warum sind sie uns nicht gleich hinterhergekommen?«
fragte Alfred.
Marit verzichtete darauf, es auszusprechen.
Alfred kannte die Antwort ohnehin.
Weil Xar weiß, wohin wir gehen!
Es war von Anfang an eine Falle gewesen,
erkannte Alfred beklommen. Die Patrynwachen hatten ihn und Marit nicht nur
entkommen lassen, sie hatten die Gelegenheit herbeigeführt.
Durch das magische Tor hätten sie uns auf
direktem Weg zu Xar bringen können, dachte er. Aber nein, sie schleppen uns
durch halb Nekropolis. Und als wir fliehen, machen sie sich nicht einmal die
Mühe, uns zu verfolgen.
Doch ausgerechnet die niederschmetternde Erkenntnis,
daß ihre Flucht sinnlos war und ihr Schicksal besiegelt, barg einen winzigen
Funken Hoffnung.
Wenn Haplo tot war und Fürst Xar ihn durch Nekromantie
wieder zum Leben erweckt hatte, befand sich der Fürst bereits im Siebten Tor
und bedurfte ihrer nicht mehr.
Etwas ist fehlgeschlagen – zu unseren Gunsten.
Die Sigel an der Wand liefen mit der
Geschwindigkeit eines Buschfeuers vor ihnen her. An einigen Stellen, wo Risse
im Gestein das Glyphenband unterbrachen, blieben die Runen dunkel. Die
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