Das siebte Tor
Ehemann oder Eltern der Frau, die bei ihm
ist, noch im Labyrinth gefangen.
»Wenn das Letzte Tor sich schließt«, fuhr Marit
fort, »gibt es für uns kein Entkommen mehr. Hat unser Gebieter euch nicht
davon berichtet?«
»Nein, wir wissen nichts«, antwortete die Frau.
»Aber ich bin sicher, Fürst Xar hatte gute
Gründe zu schweigen«, bemerkte ihr Begleiter streng. Er dachte nach, dann fügte
er hinzu: »Wir werden Euch zu ihm bringen.«
Der dritte Posten erhob Einwände. »Unsere
Order…«
»Ich kenne unsere Order!« schnappte der Mann.
»Dann weißt du, daß wir…«
Die Wachen zogen sich an den Rand des Piers
zurück und debattierten. Ihre Stimmen klangen gereizt.
Marit seufzte. Alles entwickelte sich so, wie
sie gehofft hatte. Sie wartete mit verschränkten Armen, scheinbar völlig
gelassen, doch ihr Herz war schwer. Xar hatte seinen Gefolgsleuten nicht von
den blutigen Kämpfen im Labyrinth berichtet. Vielleicht will er sie vor Schmerz
bewahren, dachte sie. Aber ihre innere Stimme flüsterte: Vielleicht fürchtete
er, sie könnten sich gegen ihn erheben.
Wie Haplo es getan hatte…
Marit rieb sich die Stirn, wo das Sigel brannte
und juckte. Wie konnte sie mit Grübeln wertvolle Zeit verschwenden? Sie mußte
mit Alfred reden, solange die Wächter abgelenkt waren und nur hin und wieder
einen flüchtigen Blick auf ihre Gefangenen warfen. Langsam, um nicht die
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, schob sie sich an den Sartan heran.
»Alfred!«
Er zuckte zusammen.
»Oh! Was…«
»Sei still und hör zu!« zischte sie. »Sobald wir
in Nekropolis sind, wirst du uns die drei vom Hals schaffen.«
Alfred riß die Augen auf. Er wurde fast so
bleich wie ein Lazar und schüttelte entschieden den Kopf. »Nein! Das kann ich
nicht! Ich weiß gar nicht…«
Marit beobachtete aus den Augenwinkeln ihre Landsleute,
die sich einer Übereinkunft zu nähern schienen. »Früher hat dein Volk Kriege
gegen uns geführt«, sagte sie kalt. »Ich verlange nicht von dir, jemanden zu töten.
Es wird doch einen Zauber geben, mit dem du unsere Bewacher so lange
unschädlich machen kannst, daß wir…«
Sie unterbrach sich und trat ein paar Schritte
zur Seite. Die Patryn hatten sich geeinigt und kamen zurück.
»Wir bringen Euch und den Gefangenen zu Fürst
Xar«, erklärte ihr Sprecher.
»Zeit wird’s!« entgegnete Marit unwirsch.
Der Wächter hielt ihre Gereiztheit für Ungeduld,
endlich zu Fürst Xar gebracht zu werden, und wußte nicht, daß es sie
gelüstete, Alfred zu schütteln, bis ihm die Zähne klapperten.
Inständig flehend schaute er sie an, und
plötzlich begriff Marit, was in ihm vorging. Er hatte niemals in seinem
ganzen Leben gegenüber einem anderen Wesen, sei es Patryn oder Nichtiger, von
seinen magischen Kräften Gebrauch gemacht. Lieber war er in Ohnmacht gefallen
und hatte sich der Gefahr ausgesetzt, in seinem hilflosen Zustand getötet zu
werden, nur um nicht selbst jemanden töten zu müssen.
Gemeinsam begannen die drei Wächter, die Sigel
in die Luft zu zeichnen. Von ihrer Magie in Anspruch genommen, achteten sie
kaum auf die Frau und den Sartan. Marit packte Alfred, als wäre er tatsächlich
ihr Gefangener, und zog ihn dicht an sich heran.
»›Du mußt es tun«, flüsterte sie drohend. »Es
ist unsere einzige Chance, Haplo zu retten.«
Alfred stieß ein klägliches Wimmern aus. Sie
konnte fühlen, wie er zitterte, und verstärkte unerbittlich ihren Griff.
Zwei der Wächter näherten sich, um sie zu der
Stelle zu führen, wo die Runen als lodernder Flammenreif dicht über dem Boden
schwebten.
Alfred wich zurück. »Bitte zwing mich nicht
dazu«, sagte er zu Marit.
Einer der Patryn lachte grimmig. »Er weiß, was
ihm bevorsteht.«
»Ja, er weiß es«, bestätigte Marit, ohne den
Blick von Alfreds Gesicht abzuwenden. In ihren Augen konnte er lesen, daß er
nicht auf Gnade hoffen durfte.
Flankiert von den beiden Wächtern, traten er und
Marit in den feurigen Kreis der Magie.
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Kapitel 12
Nekropolis,
Abarrach
Ich verlange nicht von dir, jemanden zu töten! Das Begreifen traf Alfred wie ein Blitz. Unschädlich machen. Natürlich.
Das hatte sie gesagt. Unschädlich machen.
Was hatte er denn geglaubt zu hören? Ein Kälteschauer
durchrieselte seinen Körper. Er hatte wie selbstverständlich an nichts anderes
gedacht als an Töten.
Es liegt an dieser Welt, dachte er, entsetzt
über sich selbst. Diese Welt des Todes, in der man nichts sterben
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