Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Sein Plan war gefährdet. Er musste auf irgendeine Weise ihren Zorn und ihre Mordgier von neuem anstacheln.
Er wandte den Kopf zu ihnen herum und schrie ihnen entgegen: »Seid ihr wirklich die gefürchteten Krieger des Todesfürsten? Memmen seid ihr! Genauso feige wie bei der Schlacht von Tanaab! Ich weiß das, denn ich war im Heer des Feindes und habe euch beobachtet!«
Die Krieger heulten auf, als habe man ihnen glühende Eisen in die Eingeweide gestoßen. Das war eine Beleidigung, die niemand ungestraft äußern durfte! Die legendäre Schlacht von Tanaab lag viele Jahrzehnte zurück, aber noch immer hielt sich die Legende, dass Achests Truppen nur gescheitert waren, weildie Gredows feige vor dem Feind geflohen waren. Sie hatten damals Schmach und Schande über sich gebracht.
Voller Zorn nahmen sie auf der schmalen Brücke wieder die Verfolgung auf und schwangen die Waffen. In gewagten Sprüngen setzten sie über den Spalt der zerbrochenen Planke und bewegten sich auf Osyn und Fenn zu.
»Töte den verdammten Bastard!«, schrien sie ihrem verwundeten Kameraden zu. »Wir werden ihn bei lebendigem Leibe fressen und wieder ausspeien!«
»Nur noch ein paar Schritte! Fenn, nun mach schon!«, rief Chem.
Der junge Mann hangelte sich auf der stark schwankenden Brücke vorwärts. Es war schwer, die Balance zu halten.
Plötzlich krachte es, und der Himmel über Osyn drehte sich. Beinahe rutschte er vom Rücken seines Trägers. Eines der Bretter unter Fenns Füßen hatte nachgegeben, brach entzwei und trudelte hinab in die Tiefe. Fast wären sie mit nach unten gestürzt, doch Fenn konnte sich gerade noch an den beiden Halteseilen abfangen.
Eine Krallenhand bohrte sich in Osyns Schulter, nicht tief, aber schmerzhaft. Ein kurzer, heftiger Ruck. Osyn wurde von Fenns Rücken gerissen. Der junge Mann stolperte, von seiner Last plötzlich befreit, nach vorn in die Arme von Chem, der ihn am Rand der Klippe auffing.
Osyn hing unterdessen hilflos an der gewaltigen Pranke des verwundeten Gredows, der seinen Säbel weggeworfen hatte, um die Hand frei zu haben.
»Kannst du fliegen, Zauberer?« Er fletschte die Zähne und ließ ihn zappeln. »Ich werde dir zeigen, wie es einem ergeht, der die Ehre der Gredows besudelt!« Osyn versetzte ihm einen Tritt an den ungeschützten Hals, der dem Gredow kurz denAtem nahm. »Kappt die Taue!«, rief er den anderen zu, die erschrocken zugesehen hatten. »Los doch, worauf wartet ihr? Ihr könnt mir nicht mehr helfen!«
Der Gredow riss seinen Arm mit einem wütenden Schrei zur Seite und schleuderte Osyn in den Abgrund.
»Nein!« Hergans verzweifelter Schrei hallte zwischen den Felswänden. Fenn und Chem sprangen an den Rand der Schlucht und starrten entsetzt nach unten. Sie sahen Osyns Körper durch die Luft wirbeln. »Die Taue!«, schrie er nochmals im Fallen. Während seines endlos scheinenden Sturzes breitete er die Arme aus, als wolle er ihn dadurch verlangsamen. Dann plötzlich verschwand seine Gestalt im Halbdunkel der Schlucht. Sie wandten sich entsetzt ab, um den Aufschlag seines Körpers auf den Felsen nicht mit ansehen zu müssen.
Der Gredow hatte seinen Sturz mit Genugtuung beobachtet. Nun wandte er sich ab und machte einen Satz nach vorn, um das Ende der Brücke zu erreichen. Noch zwei Bretter trennten ihn von der anderen Seite der Schlucht. Seine Kameraden kamen hinterher und schrien ihm Befehle zu. Wieder ein Schritt. Die Brücke knarrte und schaukelte gefährlich, während die Krieger vorandrängten. Die Seile würden das Gewicht der Krieger nicht mehr lange aushalten.
Chem und Fenn standen wie gelähmt, hatten die Gefahr durch die Gredows offenbar gänzlich vergessen.
Da trat Hergan vor. Sie nahm eine Axt zur Hand, die an einem Pfosten lehnte, und ließ sie auf eines der unteren Seile niedersausen. Einmal, zweimal. Das Seil zerfetzte mit lautem Knall. Die Bretter des Laufstegs kippten zur Seite. Einige Gredows, die sich nicht festhielten, stürzten kreischend in die Tiefe. Die anderen schrien auf, von plötzlicher Panik gepackt, und balancierten auf dem verbleibenden Seil unter ihren Füßen,während sie sich an den beiden Tauen festhielten, die das Geländer bildeten. Einige wollten nach vorne, andere wieder zurück zum rettenden Ufer. Doch es war zu spät.
Wieder krachte die Axt, das zweite Seil riss.
Die Gredows, gut zwanzig an der Zahl, stürzten in den Abgrund. Schwerter und Schilde von sich werfend, fielen sie schwer wie Steine nach unten. Ihre Schreie verloren sich
Weitere Kostenlose Bücher