Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Höhlenvoneinander trennte, zusammenbrach und von den Fluten fortgerissen wurde. Eine Reihe von Säulen knickte wie Reisig weg. Das Deckengewölbe, das sie trugen, sackte nach unten. Währenddessen nahm das Rumpeln und dumpfe Grollen zu.
»Weg von hier!«, schrie Dex.
Es war ein Wagnis, aber sie mussten die Brücke schneller hinter sich bringen. Vorsichtig beschleunigten sie ihre Schritte. Zu beiden Seiten des schmalen Grats klaffte die Tiefe. Feine Risse bildeten sich in dem Gestein unter ihren Füßen. Der Kuppeldom erzitterte und bebte, Sand und Steine regneten auf sie herab. Das Vibrieren wurde stärker, und die Brücke knackte und krachte. Sie würde nicht mehr lange standhalten. Tenan konnte erkennen, wie weit unten die Wassermassen in weißer Gischt in die Gänge brandeten und die unteren Stockwerke fluteten. Sie brachten die letzten Meter rennend hinter sich. Im letzten Moment konnten sich Tenan und Dex mit einem Hechtsprung auf die Balustrade retten. Hinter ihnen stürzte ein großes Stück der Brücke in die Tiefe und verschwand in den Fluten.
Keuchend blickte der Junge zurück. Der letzte Zugang nach Atala war zerstört! Doch Dex verschwendete keinen Gedanken an diese Katastrophe, zumindest ließ er sich nichts anmerken. Er drängte Eilenna und Harrid zur Seite und trat vor die gewaltigen Torflügel, wo er sich eilig zu schaffen machte.
Tenan fragte sich, wie er das schwere Tor öffnen wollte. Er konnte keinen Riegel, kein Schloss, nicht einmal einen Metallgriff erkennen.
Dex drückte seine sechsfingrige Hand in eine Vertiefung an der Wand, die eigens dafür vorgesehen war. Augenblicklich glitten zwei Bodenplatten auseinander, und ein schlanker, mattsilbern schimmernder Sockel kam zum Vorschein, auf dem verschiedenfarbige Kristalle glitzerten.
»Das Tor öffnet sich nur, wenn man die Kristalle in der richtigen Reihenfolge berührt«, erklärte Dex den anderen, die gebannt zuschauten.
Er ließ seine Finger gewandt über die Steine gleiten. Doch jedes Mal, wenn der Fisk-Hai zurücktrat und erwartungsvoll auf das Tor schaute, rührte sich nichts. Unüberwindlich ragten die Torflügel vor ihnen auf. Und die Flut stieg!
Hastig probierte Dex weitere Abfolgen aus, ohne Erfolg. »Stimmt die Reihenfolge, mit der du die Kristalle berührt hast?«, fragte Tenan.
»Natürlich«, brauste Dex auf. »Ich habe eigens vor unserer Abreise in Eglamars Bibliothek sämtliche magischen Schlüssel der Tore und Gänge studiert! Hältst du mich für so einfältig? Nein, es ist der richtige Schlüssel. Entweder ist der Mechanismus eingerostet, oder ...« Er zögerte.
»Oder was?«, fragte Chast stirnrunzelnd.
»... oder jemand hat den Geheimzugang geändert.«
»Dieser Jemand scheint uns nicht besonders zu mögen«, brummte Harrid. »Erst die geöffneten Schleusen, nun das verschlossene Tor.«
Tenan blickte sich sorgenvoll um. War ihnen das schwarze Wesen, das sie in der Nacht angegriffen hatte, wieder auf den Fersen? War es womöglich für all das verantwortlich, was hier geschah? Möglicherweise hatten die Grauen es nicht aufhalten können. Ihren Berichten zufolge war der Verfolger unglaublich mächtig.
Ihn schauderte.
Das Beben steigerte sich zu einem dumpfen Grollen, je mehr Wasser eindrang. Vereinzelt lösten sich Fackeln aus ihren Wandhalterungen und trudelten wie sterbende Sterne in die Tiefe, wo sie rauchend in der Gischt verloschen.
»Seht! An der Decke bilden sich Risse!«, rief Eilenna und zeigte erschrocken nach oben.
»Die alten Hallen halten dem einströmenden Wasser nicht mehr stand«, sagte Dex.
Die Gefährten schauten sich verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit um. Auf jeder Seite des Portals zweigte ein kleinerer Gang ab. Die dunklen Bögen starrten ihnen wie die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels entgegen.
Urisk rannte auf den rechten Gang zu. »Vielleicht höher man kommt hier!«, rief er und verschwand in der Dunkelheit. Nur ein paar Augenblicke später tauchte er mit hängendem Kopf wieder auf. »Alles voller Schutt, kein Durchkommen ist einem möglich.«
Da löste sich eine hohe Gestalt aus der Finsternis des linken Durchgangs. Bedrohlich groß und von schmaler Statur ragte sie vor den Gefährten auf, die dunklen Schwingen eng am Leib gefaltet. Tenans Blut gefror, als er die Gestalt langsam und hoheitsvoll auf sich zuschweben sah. Das Wesen strahlte die Präsenz des Bösen aus. Trotz des unsteten Spiels des Lichtes konnte er sofort erkennen, dass es aus den Grauen Sphären
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