Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
Entscheidung.«
Die Hunde wurden langsam unruhig, und Amris schulterte seinen Bogen. »Heute ist der letzte Tag, an dem ich im Wald von Rhun jagen werde. Mein Schiff legt in drei Tagen im Hafen von Dorlin ab. Ich mache mich morgen früh auf den Weg dorthin. Es wäre schön gewesen, meine letzte freie Zeit hier mit dir zu verbringen, wenn du schon nicht mitgehst nach Meledin.«
Sie standen einige Augenblicke schweigend beieinander. Tenan wusste nichts zu sagen.
Schließlich meinte Amris: »Ich hoffe, du findest deinen Weg.«
»Dann schätze ich, dass wir uns so schnell nicht wiedersehen?«
Amris’ Gesicht hellte sich auf und zeigte sein entwaffnendes Grinsen. »Ich werde jedes Mal nach einem Schiff aus Gondun Ausschau halten, wenn ich in den Hafen komme. Und wenn du nicht von selbst kommst, sehen wir uns wieder, sobald ich mit meiner Einheit einen Abstecher hierher mache. Aber pass auf – ich werde dich mit dem Schwert von hier wegtreiben. Verlass dich drauf, dann kann ich damit umgehen!«
»Und ich werde einen Wasserzauber auf dich herab beschwören, dass dir Hören und Sehen vergeht«, lachte Tenan.
»Denk immer daran: Wir sind wie zwei Drachen, und nichts kann uns aufhalten«, rief Amris, während er sich umwandte und zum Abschied winkte.
Tenan sah ihm nach, bis er hinter den Hügeln verschwunden war. Noch lange war das aufgeregte Gekläff der Hunde zu hören.
»Wir werden uns wiedersehen«, murmelte er entschlossen und hoffte, Amris und die ganze Welt würden es hören. Vielleicht sagte er es auch nur, um die aufkommende Wehmut zubekämpfen und es sich selbst einzureden. Dann wandte er sich um und lief weiter den schmalen Weg am Hochufer entlang, der nach Lagath führte. Und es kam ihm so vor, als hätte er sich nicht nur von Amris, sondern auch von seinen Träumen verabschiedet.
8
Mit einem Gefühl von Einsamkeit und innerer Leere folgte Tenan dem Pfad am Rand der Klippen. Lagath lag noch eine gute Wegstrecke entfernt. Der Hafenort am Ostende Gonduns bildete neben dem noch größeren Dorlin an der Westküste das Herz der kleinen Insel. Tenan hatte die alten Seekarten eifrig studiert, die in Osyns Regalen vermoderten. Sie waren bisher seine einzige Möglichkeit gewesen, wenigstens im Geist von Gondun zu fliehen, denn er hatte die Insel noch nie in seinem Leben verlassen. Tenan hatte sich begierig die Geographie des Inselreichs von Algarad eingeprägt, hatte versucht, so viele Informationen wie möglich über die Geschichte des Reichs in den Aufzeichnungen seines Meisters zu finden. Es waren einige der wenigen Augenblicke gewesen, in denen er seine mühsam erworbenen Lese- und Schreibfähigkeiten zu schätzen gewusst hatte. Durch sein Studium hatte er sich gute Kenntnisse über das Inselreich Algarad erworben.
In Lagath tummelten sich Händler und Reisende aus aller Herren Länder und verkauften Waren, die sie auf großen Handelsschiffen nach Gondun brachten. Weit entfernt von Tenans Heimatinsel, getrennt durch die stürmische See, lag im Norden Caithas Eri, die Hauptinsel des Reichs, auf der HochkönigAndorin residierte. Die Insel Dan, die Caithas Eri im Südwesten vorgelagert war, bildete den Sitz des gleichnamigen Ordens von Dan und der sagenhaften Schule, in der die berühmten Magier und Schwertkämpfer Algarads ausgebildet wurden. Zu ihr hatten nur die Ritter von Dan Zugang, und man wusste wenig Genaues über sie.
Auf den Inseln von Shon, die weit im Süden lagen, lebten die dunkelhäutigen Südvölker. Man erkannte ihre Schiffe schon von fern an ihren merkwürdig spitz nach oben geschwungenen Rümpfen und den dreieckigen Segeln. Sie brachten erlesene und kostbare Waren, Gewürze und Weine, die von den wohlhabenden Einwohnern Algarads sehr geschätzt wurden. Viele betrachteten die Südvölker jedoch mit einem vorsichtigen Argwohn: Ihre Götter, Sitten und Gebräuche waren ihnen fremd, und alles, was fremd war, bereitete den Menschen Angst. Man hielt zu den großen, stolzen Menschen aus dem Süden stets Abstand, obwohl ihre Inseln vor einigen Jahrzehnten annektiert worden waren und nun unter der Herrschaft des Hochkönigs standen. Die Bewohner Shons und der angrenzenden Inseln widersetzten sich seinem Befehl, und so kam es laufend zu kleineren Scharmützeln und Auseinandersetzungen, die aber schnell wieder beigelegt werden konnten. Keine der beiden Seiten wollte in diesen unsicheren Zeiten einen offenen Krieg beginnen. Doch für die stolzen Südvölker bildete die Besetzung eine Schmach und
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