Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
jünger aussehen, als er war. Ein schiefes Lächeln umspielte seinen Mund.
»Hallo, mein Freund!«, begrüßte er Tenan und breitete die Arme aus.
Sie umarmten sich freudig.
»Amris!«, rief Tenan und klopfte ihm auf die Schulter. »Gehst du zum Jagen in den Wald von Rhun?«
»Klar! Ich dachte, du kommst mit.« Der andere sah ihn erwartungsvoll an.
Tenan schüttelte den Kopf: »Diesmal nicht. Ich ... Osyn ...« »Ah.« Amris grinste verstehend. »Du hattest wieder Ärger mit dem alten Knaben?«
Tenan schaute zu Boden. »Das auch. Ich soll nach Lagath und Kräuter holen.«
Amris sah ihn prüfend an. »Mein Freund, ich glaube, das Leben als Comori ist nichts für dich. Du solltest weg von hier, raus in die Welt. Auf Gondun versauerst du nur.«
»Wem sagst du das?«, seufzte Tenan und stieß mit dem Fuß einen Stein weg. Seine Freude, Amris zu sehen, war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war.
Sein Freund setzte eine Verschwörermiene auf und beugte sich vor, als wolle er, dass niemand ihn hören konnte. »Pass auf, ich wollte es dir schon früher erzählen, aber man sieht dich ja kaum mehr in letzter Zeit. Vor ein paar Tagen, als der Sturm endlich nachließ und man wieder aus dem Haus konnte, habe ich in Dorlin ein paar Männer getroffen, die für das Heer des Hochkönigs Freiwillige suchen. In Meledin gibt es eine Schule der Dan-Ritter, in der Krieger ausgebildet werden. Schwertkampf, Reiten und die Seefahrt gehören zur Grundausbildung. Das wäre was für dich!« Seine Augen strahlten, als er weitersprach. »Glaube mir, es ist in Meledin so, wie wir in den alten Geschichten gehört haben. Die Soldaten haben mir Dinge erzählt, die sogar manches davon übertroffen haben! Wir wären ein gutes Gespann, wenn wir zusammen dorthin gingen, meinst du nicht?«
Tenans Herz schlug schneller. Er hatte immer von einem solchen Leben geträumt! »Und sie nehmen jeden, der sich bewirbt?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Klar, sogar mich«, sagte Amris lachend. Dann wurde er wieder ernst. Sein Blick huschte argwöhnisch umher, obwohl in der Einöde außer ihnen kein Mensch zu sehen war. »Es heißt, Achest Todesfürst sammelt seine Kräfte und führt Böses im Schilde. Das weiß ich von den Männern aus Meledin. Die Truppen auf Caithas Eri wurden bereits vor einigen Monaten in Alarmbereitschaft versetzt, obwohl man noch nichts Genaues über Achests Pläne weiß – vor allem weiß niemand etwas Offizielles. Aber es kursieren Gerüchte und Vermutungen in der Armee. Irgendetwas liegt in der Luft. Hochkönig Andorin und der Rat der Dan-Krieger halten sich bedeckt. Man hat den Heerführern der Clans befohlen, sich um die Festung zu sammeln. Ständig treffen Kriegsschiffe von den umliegenden Inseln im Hafen der Hauptstadt ein und bringen Krieger, Pferde und Versorgungsgüter. Wenn sie ihre Ladung gelöscht haben, schwärmen sie aus, um Freiwillige für die Armee zu rekrutieren. Zur Verteidigung der Festung benötigt der Hochkönig jeden Mann. Komm schon, gib dir einen Ruck! Die brauchen dort fähige Männer wie dich und mich. Willst du hier den Rest deines Lebens versauern? Ich möchte jedenfalls nicht tatenlos zusehen, wie die Gredows das Land verwüsten und alles in Schutt und Asche legen.«
»Und was sagt dein Vater dazu?«
Amris grinste selbstsicher. »Natürlich war er dagegen, aber mein Entschluss steht fest. Ich will nicht auf dieser trostlosen Insel verkommen und Schafhirte oder Fischer werden. Ich habe schon viel zu lange das getan, was mein Vater für richtig hielt. Du weißt ja, er hoffte immer, ich würde Schmied werden und seine Nachfolge antreten, damit er sich ganz seiner Aufgabe als Dorfvorsteher widmen kann. Glaub mir, ich habe es die letzten Jahre lange genug versucht, aber das ist nicht meineWelt. Ich möchte die Schwerter lieber selber schwingen, als sie herzustellen.« Sein Blick schweifte in die Ferne. Mit einer ausholenden Geste wies er in Richtung der Nordinseln. »Mein Freund, seit Jahren träumen wir beide von einem Leben als Krieger. Und jetzt endlich ist die Gelegenheit da. Ein Schiff aus Meledin! So eine Möglichkeit bietet sich nicht so schnell wieder. Komm mit mir, was zögerst du?«
»Osyn wird mich nicht gehen lassen«, sagte Tenan schwermütig. »Außerdem kann ich ihn zurzeit nicht mit der vielen Arbeit allein lassen. Zu viel Regen, zu viele nasse Kleider, du weißt schon ...«
Amris verdrehte die Augen. »Dann mach’s wie ich: Setz deinen Willen durch und stell ihn vor vollendete
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