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Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Titel: Das Siegel der Finsternis - Algarad 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Reichard
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packte seinen Umhang, den er nach Comori-Art auf dem Holzgestell in der Ecke zum Trocknen aufgehängt hatte. Eben wollte er verschwinden, da rief ihm Osyn hinterher:
    »Du hast das Geld vergessen!« Er warf ihm einen kleinen Beutel mit Münzen zu, den Tenan geschickt fing. »Achte darauf, dass die Händler nicht zu viel für das Gilbenkraut verlangen!«
    »In Ordnung, Meister«, rief Tenan und wandte sich wieder zur Tür.
    »Noch etwas!«
    Der Junge blieb wie angewurzelt stehen. Was jetzt noch?
    Osyn kam mit Tenans Zauberstab auf ihn zu, den er wie einen erhobenen Zeigefinger in der Luft schwenkte. »Der Com ist die Seele des Comori. Du bist ein Adept der Kleinen Magie und solltest ihn bei dir tragen, wenn du unterwegs bist. Er könnte dein Leben retten, auch wenn ich das in deinem Fall sehr bezweifeln würde. Du kannst von Glück sagen, wenn du andere nicht damit umbringst! Wenn ich ihn dir jetzt wiedergebe, dann nur unter der Bedingung, dass du achtsam damit umgehst, verstanden?«
    Er hielt ihm mit hochgezogenen Augenbrauen den Zauberstab hin. Tenan ergriff ihn rasch und steckte ihn in seinen Gürtel. »Habt Dank, Meister. Ich werde vorsichtig sein«, versprach er kleinlaut und deutete eine Verbeugung an. Dann polterte er hastig aus der Kammer, bevor Osyn ihn noch einmal aufhalten konnte. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss.
    »Ich hoffe, dass du mir nicht zu früh dankst«, murmelte Osyn. Ächzend begann er aufzuräumen.
    Tenan ließ die Hütte erleichtert hinter sich. Endlich wieder draußen in Freiheit! Die muffige Stube hinter sich! Wieder wurde ihm bewusst, wie stark sein Drang hinaus in die Welt war. Er wollte nur weg. Weg von dem Leben, das er seit so vielen Wintern kannte. Gierig sog er die frische Luft ein. Sie stieg in seinen Kopf wie Wein, nur dass sie ihn klarer und wacher machte.
    Er kämpfte mit dieser Klarheit, ja, er lag im ständigen Kampf mit ihr, schon seit einigen Jahren. Er wollte sie nicht wahrnehmen, denn das würde bedeuten, dass er Verantwortung übernahm. Die Klarheit verlangte etwas von ihm: eine Entscheidung. Und diese Entscheidung würde alles Übrige ins Rollen bringen. So sehr er sich nach Veränderung sehnte, so unfähig fühlte er sich, sie bewusst herbeizuführen.
    Obwohl der Regen aufgehört hatte und einzelne Sonnenstrahlen durch die Wolken blinkten, zerrte der Wind an seinem Umhang und zauste in seinen Haaren, als wollte er ihn mit sich reißen. Er musste sich dagegenstemmen, obwohl er den Kampf gern aufgegeben hätte. Wer wusste, wohin ihn der Wind tragen würde?
    Tenan durchquerte den wuchernden Gemüsegarten, ging an den bunten Bienenstöcken vorbei und folgte dem schmalen Sandweg, der am nördlichen Hochufer der Insel verlief. Er schritt rasch aus, in der abergläubischen Hoffnung, wenigstens so den Lauf der Dinge beschleunigen zu können. Sein Atem ging stoßweise, als er eine kleine Anhöhe erklomm. Als er sie erreicht hatte, drehte er sich um und schaute zurück. Er brauchte Überblick.
    Das Dorf Esgalin schmiegte sich eng an die Hügel, rechter Hand und etwas abseits stand Osyns windschiefe Hütte. Hier war Tenans Heimat, seit er denken konnte. Hier war er bei seinemMeister Osyn aufgewachsen, einem Wasserzauberer aus dem Clan der Comori, und hatte die Grundzüge der Zauberei gelernt. Es war ein ruhiges Leben gewesen. Zu ruhig, dachte Tenan bedauernd. Die Welt war so groß und lockte mit Tausenden von Abenteuern, und er saß auf dieser langweiligen, unbedeutenden Insel fest! Er spürte, wie schon so oft, den inneren Kampf zwischen Bleiben und Gehen, Neugierde und Angst vor der Ungewissheit, Gehorsam und Bestimmung. Doch welche Bestimmung hatte er denn? Sein Herz schmerzte, ob von der Anstrengung des Aufstiegs oder von der Sehnsucht nach Freiheit, vermochte er nicht zu sagen.
    Während er so stand, konnte er Hundegebell hören; es näherte sich aus dem nahe gelegenen Wald von Rhun, dessen dunkle Silhouette sich geheimnisvoll und bedrohlich vom Horizont abhob. Plötzlich jagte ein großer, freudig kläffender Hund auf ihn zu und sprang, heftig mit dem Schwanz wedelnd, an ihm hoch. Er warf ihn fast um.
    »Hey, Jock, mein Guter, wo kommst du denn her?« Tenan streichelte ihn und versuchte seiner weichen, nassen Schnauze auszuweichen.
    Währenddessen war die übrige Hundemeute herangekommen, geführt von einem hochgewachsenen, jungen Mann. Mit federnden Schritten näherte er sich über die feuchte Wiese. Strohblonde Haare umrahmten sein Gesicht und ließen ihn

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