Das Siegel der Finsternis - Algarad 1
auftauchten, das Ufer erklommen und ihren Weg mit neu gewonnener Kraft fortsetzten. Das schwarze Feuer war ihr Lebenselixier.
Hinter dem Fluss trafen von überall her neue Straßen und Wege zusammen und vereinigten sich zu einer immer breiter werdenden Allee, auf der sich die Massen fortbewegten. Sie stieg allmählich an, bis sie unvermittelt vor dem Berg endete. Dort standen abgestorbene Bäume, die ihre kahlen Äste in den Himmel reckten, als suchten sie nach einem Funken des Lebens.
Zwei Tore erhoben sich auf dem Berg. Das eine war aus tiefschwarzem Basalt und bedrohlich anzuschauen. Seine Flügel waren geschlossen. Das andere, hellere Portal bildete den Zugang zu jener Welt, die man Algarad nannte. Die Welt der Sterblichen. Die Welt des Lichts. Das Menschenreich, dem die Sehnsucht der Schatten galt.
Die Flügel dieses Tores waren von einer gewaltigen Macht zerstört worden und hingen schief in den Angeln.
Die gesamte Ebene war erfüllt von den Schattenwesen, die zum Berg strömten und erwartungsvoll auf das Tor starrten. Endlich fanden sich auch die Letzten ein. Ihre Stimmen verklangen allmählich, und nur der heulende Wind war noch zu hören.
Sie warteten. Ihr Meister, der Bash-Arak, hatte ihnen versprochen, dass sie bald auf die andere Seite gehen durften. Die Zeit war nahe.
10
Der Bash-Arak, der Herrscher der Schatten, schwebte bewegungslos in einer geheimen Kammer der Dethor, eines Kriegsschiffs der Flotte Achests. Der Raum beherbergte besondere magische Gegenstände und Waffen, die nur wenigen auserwählten Besatzungsmitgliedern zur Verfügung standen. Darunter befanden sich Kupferkugeln, die man in die Luft werfen konnte und die sich im Raum verteilten, um Gift oder Feuer zu versprühen. Weiterhin gab es Phiolen mit Flüssigkeiten – fein säuberlich in Regalen nach Form und Größe aufgereiht –, in denen die Umoli im Halbschlaf dämmerten. Die Umoli waren eine der vielen verderbten Schöpfungen Achests: kleine grausame Wesenheiten mit übergroßem Kopf und fahler Hautfarbe, nicht größer als ein Daumen. Sie wurden im Krieg in die Lager des Feindes geschickt, um sich unbemerkt in die Zelte der Befehlshaber zu stehlen, ihre Pläne auszuspionieren und sie zu töten. Außerdem gab es in der Kammer eine Sammlung von Schwertern und anderen Waffen, die durch Illusionszauber ihre Gestalt verändern konnten und den Gegner dadurch verwirrten, oder seltsam gewundene Stäbe, mit denen man anderen Wesen Lebens kraft abziehen konnte wie ein Vampir.
Der Bash-Arak ließ sich ganz auf die dunkle Atmosphäre des Raumes ein. Er liebte die Stille, denn sie enthüllte ihm die Geheimnisse der Finsternis. Sein Umriss war nicht mehr als ein Flirren im ohnehin nur spärlichen Licht, das die Kammer erhellte. Seit dem Kampf mit Lord Iru hatte er fieberhaft versucht, den Meledos-Kristall als Erster aufzuspüren. Sein Geist war ruhelos umhergewandert, hatte nach dem kleinsten Anzeichen des roten Leuchtens geforscht, das seiner Seele Labsal war. Aber eine magische Rune auf dem Beutel verhinderte,dass er ihn auf den geistigen Ebenen wahrnehmen konnte. Er verfluchte insgeheim die Zauberei des Dan-Ritters, der sich als gewitzter und stärker erwies, als er vermutet hatte.
Der Bash-Arak versuchte, über einen Cerele, einen magischen Spiegel, Verbindung zu Achest aufzunehmen, um den Todesfürst von den neuesten Entwicklungen in Kenntnis zu setzen. Jedes Schiff der Flotte führte einen Cerele mit sich. Die Spiegel ermöglichten es, über große Entfernungen hinweg Kontakt zueinander aufzunehmen und Botschaften auszutauschen. Üblicherweise hätte er einen Spiegel auf der Acheron benutzen können, aber er mied die Anwesenheit Drynn Durs, des Flottenadmirals, so gut es ging. Der Bash-Arak traute ihm nicht, und das, was er Achest zu berichten hatte, ging ohnehin nur den Todesfürst etwas an und blieb in seiner ganzen Tragweite vor dem Admiral besser geheim.
Die Oberfläche des mannshohen, ovalen Spiegels veränderte sich plötzlich, als schmölze das blank geputzte Silber in großer Hitze. Das Metall schien Blasen zu werfen, dann wurde es wieder glatt und durchsichtig. Doch statt des Spiegelbildes von eben erschien die Ansicht eines hohen Saals. Die Säulen der Gewölbebögen liefen zur Decke hin spitz zu wie dünne, bleiche Finger zweier Hände, die sich berühren. Graues Dämmerlicht fraß alle übrigen Farben auf.
In der Mitte des riesigen Saals stand ein wuchtiger, schmuckloser Thron aus Eisen. Darauf saß eine Gestalt, die
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