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Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Titel: Das Siegel der Finsternis - Algarad 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Reichard
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kleines Tier? Schon wieder bewegte sich der Farn. Die Bienen wurden unruhig und umschwirrten die Stöcke, was ungewöhnlich war zu so später Stunde. Ihr Summen klang aufgeregt und feindselig. Irgendetwas irritierte sie, machte sie wütend. Tenan runzelte die Stirn. Ihm kam ein Verdacht: Seit zwei Tagen trieb sich ein Honigdieb in der Nähe des Dorfes herum. Die Imker waren in heller Aufregung, denn der Dieb hatte – dreist, wie er war – die Stöcke schwer beschädigt und fast leer geräumt. Den Spuren nach zu urteilen, war es kein Bär; vielmehr hatte man kleine Hufabdrücke im Sand entdeckt, was zu einiger Verwirrung geführt hatte. Schnell war klar, dass nur der Ziegenbock von Bauer Twilek schuld sein konnte. Er war an allem schuld, denn keiner im Dorf konnte Twilek ausstehen.
    »Habe noch nie gesehen, wie ein Ziegenbock Honig stiehlt«, hatte Bauer Twilek in der eigens einberufenen Dorfversammlungkopfschüttelnd erwidert und den Sonnenhut tiefer ins Gesicht gezogen.
    Obwohl jeder Dorfbewohner in den folgenden Nächten wachsamer war, konnte keiner den Dieb fassen, der weiterhin sein Unwesen trieb. Niemand hatte ihn überhaupt gesehen!
    Vielleicht habe ich ja Glück und erwische ihn, wenn er vor dem Haus herumschleicht, dachte Tenan. Wie gut, dass ich den Farn nicht geschnitten habe, wie Osyn mir gestern aufgetragen hat.
    Wieder raschelte es im Farnkraut. Möglichst geräuschlos schob Tenan den Stuhl nach hinten, erhob sich und trat leise zum Fenstersims. Seine feinen Ohren hörten verstohlene Atemzüge, als versuche jemand, unentdeckt zu bleiben. Gleichzeitig vernahm er ein leises Knacken und genussvolles Schmatzen. Ein leichter, süßer Duft wehte in seine Nase. Tenan grinste: Honig, ohne Zweifel! Der Dieb saß direkt unter dem Fenstersims in Reichweite seines Arms. Er war inmitten der grünen Blätter und Farnwedel gut getarnt. Tenan beugte sich über das Fenstersims, griff nach unten und packte blitzschnell zu. Er bekam ein Büschel struppiger, verfilzter Haare zu fassen und zog fest an dem, was der Kopf des Schurken sein mochte. Ein schrilles Kreischen ertönte.
    »Nicht wehtun! Nicht wehtun!«, schrie der Dieb und warf vor Schreck eine große tropfende Honigwabe in die Luft. Sie blieb an einer der kleinen Butzenscheiben des Fensters kleben und rutschte langsam nach unten.
    »Wer bist du, und was tust du hier?« Tenan schüttelte das Wesen kräftig durch. Dann versuchte er, den Kopf des Diebes so zu drehen, dass er ihn im Dämmerlicht besser erkennen konnte.
    »Man soll ihn nicht schlagen!«, greinte das seltsame Geschöpf.Es war kein Mensch, gleichwohl von menschlicher Gestalt. Verschreckt blinzelte es aus großen Augen und hielt schützend eine schmale, knochige Hand vor sein eigentümlich geformtes Gesicht. Die längliche Form des Schädels erinnerte Tenan an den Kopf eines Geißbocks. Das Wesen hatte eine auffallend schmale, lange Nase und ein breites Pferdegebiss. Einen Mund, der zum Lachen ebenso geschaffen schien wie dazu, eine große Mahlzeit zu verschlingen, und dessen Lippen furchtsam gekräuselt waren. Am Kinn wuchs ein spärlicher Ziegenbart. Spitze große Ohren wiesen den Honigdieb als einen Fairin aus, dem Volk der Waldgeister zugehörig. Seine Haut schimmerte grün, als habe sie die Farbe der Wasserstellen und Tümpel angenommen, an denen sich die Fairin gern aufhielten.
    »Ich werde dir nichts tun.« Tenan lockerte seinen Griff ein wenig, doch nur so viel, dass ihm der Eindringling nicht entwischen konnte. »Steh auf!«
    Der gefangene Fairin tat, wie ihm geheißen, während er am ganzen Leib zitterte. Er war von oben bis unten behaart. Überall steckten Blätter und kleine Zweige. Statt auf Füßen mit Zehen stand der Fairin auf zwei kräftigen Spalthufen, die er notdürftig mit Stofflumpen umwickelt hatte, um besser schleichen zu können. Sie waren zerrissen und schienen ihren Zweck kaum noch zu erfüllen.
    »Da haben wir ja den Honigdieb«, rief Tenan.
    Ein betretenes Lächeln umspielte den Mund des Fairin. »Wie ist dein Name?«
    »Man nennt ihn Urisk«, antwortete das Wesen in seiner sonderbar verdrehten Ausdrucksweise.
    Tenan fasste ihn grob unter den Achseln und hob ihn mit Leichtigkeit über das Fenstersims in die Stube. Erst jetzt merkteer, wie dünn und ausgemergelt der Fairin unter dem dichten Pelz war.
    »Nein-o-nein«, schrie Urisk entsetzt auf. »Man darf ihn nicht in menschliche Behausung bringen, nein-o-nein!«
    Tenan musste lachen. »Ach nein? Aber Bienenstöcke der Menschen

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