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Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Titel: Das Siegel der Finsternis - Algarad 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Reichard
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Weines, den er in der Nacht getrunken hatte, nichts von seiner Stimmgewalt eingebüßt. Chasts Schlafplatz in der gegenüberliegenden Koje war leer, anscheinend war der Kesselflicker bereits aufgestanden und befand sich an Deck. Tenan erhob sich, zog den Umhang über und stieg die quietschenden Stufen der Treppe nach oben. Die Sonne war noch nicht über der Hafenstadt aufgegangen, alles lag in einem grauen Zwielicht. Zwischen den Masten der Schiffe hingen Dunstschwaden. Ein kühler Wind zerrte ungeduldig an den gerefften Segeln der Dakany, als wolle er das Schiff zur Eile antreiben. Harrid stand breitbeinig am Heck, die Daumen lässig in den breiten Gürtel gehakt, und schrie seiner Mannschaft Befehle zu. Chast lehnte über der Reling und scherzte mit einer Frau, die am Kai ihren kleinen Marktstand mit Waren füllte. Die beiden kannten sich offenbar schon länger, wie Tenan aus der vertraulichen Art ihrer Unterhaltung schloss.
    Tenan bat den Kapitän, noch einen Matrosen mit Osyns Brief zur Hafenmeisterei zu schicken. Er selbst wollte auf keinen Fall riskieren, von Seren oder Watlock oder einem ihrer Kumpane entdeckt zu werden, außerdem wusste er nicht, wo genau sich die Hafenmeisterei befand. Harrid schaute ihn argwöhnisch an, stellte aber keine Fragen. Er winkte einen der Männer zu sich. »Bring diesen Brief zu Emereth in der Hafenverwaltung und übergib ihn ihm persönlich. Sieh zu, dass du schnell wieder da bist, wir brauchen dich bei den Ankertrossen.« Dann entfernte er sich, um das Verladen der letzten Fässer zu beaufsichtigen.
    Tenan atmete innerlich auf. Er hoffte, dass die Verantwortlichenfür die Sicherheit Dorlins die Warnung ernst nahmen und dass die Zeit ausreichte, um sich auf die bevorstehenden Angriffe der Gredows vorzubereiten. Gleichwohl ahnte er, dass jede Verteidigung vergebens sein würde, selbst wenn die Stadtoberen dem Brief Glauben schenkten und eine Verteidigung aufstellten.
    Schließlich gab Harrid den Befehl zum Ablegen. Ein paar Männer bewegten die Trossen und zogen den Anker an einer schweren Eisenkette rasselnd aus den Fluten. Andere lösten die Taue, mit denen die Dakany an den Uferpollern befestigt war, und stießen das Schiff mit langen Stangen vom Steg ab. In den Rahen der Masten tummelten sich Matrosen und lösten die Segel, die sich gleich darauf im Morgenwind blähten. Die Wanten knarrten unter dem plötzlichen Zug des Windes.
    »Endlich geht’s wieder los!«, rief Harrid. »Ich hasse das verdammte Herumsitzen an Land.«
    Langsam und majestätisch neigte sich die Dakany zur Seite und trieb in die breite Fahrrinne des Hafenbeckens. Sie passierte die schlanken Leuchttürme, die an den beiden Ausläufern des Felsenrings erbaut worden waren, der die Bucht umgab. Seine schützenden Arme öffneten sich, und das alte Frachtschiff glitt hinaus aufs offene Meer, wo es von den silbernen Strahlen der aufgehenden Sonne empfangen wurde. Möwen schwebten heran und begleiteten es kreischend. Es würden die letzten Landtiere sein, welche die Mannschaft für einige Zeit sehen würde.
    Bald lag der Hafen hinter der Dakany, und sie nahm volle Fahrt auf. Strömung und Wind trieben sie kraftvoll nach Norden, dem dunstigen Horizont entgegen.
    Tenan schaute zurück. Nun war er endlich unterwegs und verließ seine Heimatinsel, wie er es sich immer erträumt hatte.Er erblickte Gondun zum ersten Mal aus dieser Entfernung. Die hohen Wände der Sandsteinfelsen erhoben sich wie die Wälle einer Festung aus dem Meer. Langsam verschwanden sie im Morgendunst. In der Ferne, dort, wo er Esgalin vermutete, war der Himmel dunkel. War es Rauch, der dort aufstieg? Hatten die Gredows ihren Angriff auf Esgalin schon begonnen? Tenan hoffte von ganzem Herzen, dass Osyn in Sicherheit war.
    Während er zurückschaute, erfasste ihn eine seltsame Schwermut. Plötzlicher Abschiedsschmerz überschattete die Freude und die Spannung, die seinen Aufbruch ins Ungewisse begleiteten. Er spürte die Verbundenheit mit seinem Meister so deutlich wie noch nie. Ihm wurden die vielen kleinen Dinge bewusst, an die er sich gewöhnt hatte und die ihm nun lieb und teuer ins Gedächtnis traten: die Wanderungen mit Osyn an den Hängen des Muren-Bergs, bei denen ihn sein Meister in die Kräuterkunde eingeführt hatte, die nächtlichen Ausfahrten unter dem Sternenhimmel mit dem Boot, um Fische zu fangen, die Raufereien mit den Freunden in Esgalin, die Pferderennen durch MaIras Garten, der Gang zu Bauer Chetwick, um Lebensmittel zu holen ...

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