Das Siegel der Macht
Glück bringen, dachte Elana und fühlte ein wohliges Gefühl in sich aufsteigen. Du wirst mir Glück bringen, mir und Vaters Seele.
5
Dicht gedrängt standen die Menschen auf dem Platz vor Sankt Peter. Das Gotteshaus leuchtete ockergelb unter dem tiefblauen Himmel. Zwei Reihen mit halbrunden Fenstern und ein verzierter Giebel gaben der Kirchenfassade majestätische Schönheit. Im lauten Stimmengewirr waren die Lobgesänge der Priester kaum zu hören. Die Männer in der vordersten Reihe mussten ihre ganze Kraft aufbringen, um die Masse von der Treppe zum Vorhof des Gotteshauses fern zu halten. Da und dort stießen bewaffnete Gefolgsleute des Adels die Menge zur Seite, um prunkvoll gekleidete Reiter oder Sänftenträger durchzulassen.
Zwischen den Festtagsmützen des einfachen Volkes sah man die Tonsuren von Klosterbrüdern. Bettler harrten standhaft aus, obwohl ihre nur mit Lumpen umwickelten Füße dauernd von Holzschuhen getreten wurden. Die Stimmung war ausgelassen. Übermütig hoben festlich geschmückte Frauen ihre Kinder hoch, Väter trugen Sprösslinge auf den Schultern. Die Fenster der umliegenden Häuser waren mit Neugierigen besetzt. Ein Kopf neben dem andern. Behände kletterten einige Burschen die Hauswände hoch, um sich ein besseres Blickfeld zu sichern. Jedermann wollte den Herrscher und sein glitzerndes Gefolge sehen.
Endlich ging ein wellenartiges Raunen durch die Menge. Der König kam. Die deutschen Krieger hatten Mühe, eine Gasse zu bilden. Schließlich senkten sie ihre Lanzen und drängten die Menge zurück.
Otto III. zog mit seinem Gefolge feierlich der Fassade von Sankt Peter entgegen. Wer das Glück hatte, gleich hinter den Wachmännern zu stehen, wurde Zeuge des herrscherlichen Mienenspiels. Stolz und innere Bewegung waren auf Ottos Gesicht zu lesen, als er den Bogen des Portals passierte und den majestätischen Vorhof erreichte. Den Paradisus flankierten Marmorsäulen, die kostbar verzierte Steinbalken stützten. Vor Jahrhunderten hatten sie die Dächer römischer Kaiserpaläste getragen. Der König ging zum Baldachin mit dem bronzenen Pinienzapfen. Vor dem Brunnen schlug er den Stoff seiner Dalmatika zurück und tauchte Hände und Arme ins reinigende Wasser. Feierlich durchschritt er das Tor und näherte sich dem Altar über der Confessio des Apostels. Als der Fünfzehnjährige niederkniete und seine golddurchwirkten Gewänder über die gigantische dunkelrote Bodenplatte wallten, rollten ihm Tränen über die Wangen. Trotz seines Alters war der König sich des geschichtlichen Moments bewusst. Auf derselben Porphyrscheibe war an Weihnachten des Jahres 800 der große Kaiser Karl gekrönt worden.
Seit Stunden wartete Alexius zwischen Sigibert und Hodo in der vierten Reihe. Alle Höflinge hatten zur Feier des Tages ihre Festtagsmäntel angezogen. Einzig Alexius behielt seine Mütze auch in der Kirche auf, denn es war ihm nur halbwegs gelungen, die Blutkruste mit Haaren zu bedecken. Heftige Kopfschmerzen erinnerten ihn an den nächtlichen Überfall. Immer wieder musste der junge Grieche an die unverständliche Episode denken.
Vielleicht hatte es sich um gewöhnliche Diebe gehandelt, die sich von einem vornehm gekleideten Fremden reiche Beute erhofften. Aber weshalb hatte der eine Räuber später seinen Kumpanen erstochen? Alle ihm einfallenden Erklärungen waren unrealistisch, Alexius konnte sich einfach keinen Reim auf die Geschichte machen. Und der mysteriöse Herr, der ihn gerettet hatte? Weshalb hatte Alexius diesen nicht zu Gesicht bekommen, sondern nur den Gefolgsmann Gerold?
Das angestrengte Nachdenken wich einer wohligen Entspannung, als die Atmosphäre des Gotteshauses ihn langsam gefangen nahm. Die Farben der Stoffdraperien von Sankt Peter wirkten feierlich, immer stärker vermischte sich der Kerzenduft mit dem Weihrauch. Alexius nahm sich vor, das einmalige Schauspiel sorgenlos zu genießen.
Als Papst Gregor in seinen schweren, mit Gold und Juwelen besetzten Priesterumhängen zum Altar schritt, flüsterte Alexius seinem Nebenmann zu: »Brun hat sich bereits in seine Würde eingelebt. Als ob er immer Stola und Pallium getragen hätte.«
Erzkapellan Willigis und Bischof-Kanzler Hildibald standen dem Apostolischen Vater zur Seite. Feierlich hielt ein Herzog sein Schwert über den Kopf des Herrschers. Die Zeremonie nahm ihren langwierigen Lauf.
Alexius’ Gedanken wanderten zurück zu einer anderen Krönungsfeier, die vor seiner Geburt in derselben Basilika stattgefunden und
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