Das Siegel der Macht
die sein Leben bestimmt hatte …
Im April des Jahres 972 war die dreizehnjährige Prinzessin Theofanu mit ihrem Gefolge an der italienischen Küste an Land gegangen. Die Nichte des byzantinischen Kaisers kam aus Griechenland, um Otto II. den siebzehnjährigen Mitkaiser, zu heiraten. In ihrem Brautschatz führte Theofanu Exotisches wie Schachspiele, Parfümflakons, kostbare Seidenstoffe und Elfenbeinschnitzereien mit. Zu ihren treusten Gefolgsmännern gehörten Rotbertus und dessen siebzehnjähriger Neffe Leon, Alexius’ Vater.
Wie der Lauf der Welt sich wiederholt, sinnierte Alexius. Mein Vater hat als junger Mann genau wie ich einer kaiserlichen Zeremonie in Sankt Peter beigewohnt.
Vor dem Altar hatte die gebildete, eigenwillige Braut aus Byzanz zum ersten Mal ihren Verlobten gesehen. Nach der kirchlichen Einsegnung der Ehe krönte der Papst die kindliche Kaiserin. Dann führte eine beschwerliche Reise sie über die Alpen nach Sachsen. Theofanu war noch zu jung, um ohne Verbindung mit der Heimat in der Fremde zu leben. Rotbertus und andere Gefolgsleute sollten sie ins ostfränkische Reich begleiten. Am liebsten hätte Theofanu auch meinen Vater mitgenommen! Alexius wusste es genau, denn Leon hatte ihm oft von der Prinzessin und ihrer gemeinsamen Kindheit erzählt. Aber es kam anders. In Rom lernten Rotbertus und Leon den aus Spanien hergereisten Gerbert von Aurillac kennen. Die Begegnung war für Leon entscheidend. Alexius’ Vater zog nicht mit Kaiserin Theofanu nach Norden, er folgte Gerbert nach Reims. Der im Kloster von Aurillac aufgewachsene Westfranke war mehr als zehn Jahre älter und kam aus einfacher Familie, doch das spielte für Leon keine Rolle. Zusammen studierten sie in Reims Dialektik, und in kurzer Zeit wurde aus dem Schüler Gerbert der berühmteste Gelehrte seiner Zeit.
Mein Lehrer, dachte Alexius. Die Erinnerung an Reims und an Gerbert ließ seinen Wachtraum verklingen. Um sich herum spürte er die erhöhte Aufmerksamkeit. Alle schauten gebannt nach vorn zum Altar, als der König sich neigte, um die Kaiserkrone zu empfangen.
Mit ihren durch perlenbesetzte Stifte verbundenen Goldplatten und dem farbenprächtigen Emailleschmuck wirkte sie prunkvoller als die westfränkische und als die eiserne Krone der Langobarden. Für Otto den Großen war sie in den Sechzigerjahren auf der Insel Reichenau angefertigt worden.
Der frisch gekrönte Kaiser musste die Muskeln anspannen, um das Gewicht auf seinem jugendlich schmalen Kopf zu tragen.
Mit eigenen Augen hatte Alexius zugesehen, wie die Krone am Vortag von Handwerkern zusammengesetzt worden war. Die Ritter waren beauftragt, jede Bewegung zu überwachen.
Trotz der heftigen Kopfschmerzen ließ Alexius sich keine Einzelheit des festlichen Akts entgehen. Die Krone bekamen auch Höflinge nur selten zu sehen. Am Abend würde man die Goldplatten wieder getrennt einwickeln und mit Zepter, Reichsapfel und Reichskreuz für die nächste Reise verpacken.
Alexius atmete auf, als die Zeremonie zu Ende war. Der Kaiser erhob sich und schritt mit seinen Hofkapellanen dem Ausgang der Peterskirche zu. Zufriedenheit war auf seinem Gesicht zu lesen. Der bisherige römische Machthaber Crescentius Nomentanus hatte ihm den Treueid geschworen und die Stadt verlassen müssen. Zurück blieben triumphierend Kaiser Otto und Papst Gregor. Zwei Deutsche waren nun das weltliche und das kirchliche Oberhaupt des westlichen Imperiums.
Als der Kaiser dem Altar von Sankt Peter den Rücken zukehrte, kam Bewegung in die sorgfältig ausgewählten Gläubigen. Alles strebte dem Ausgang zu. Alexius verharrte an seinem Platz, hielt aufmerksam nach Erzbischof Gerbert Ausschau. Als er ihn nirgends entdecken konnte, wartete er, bis die Basilika sich fast geleert hatte. Dann ging er zum Pinienzapfen aus Bronze.
Gerbert von Aurillac hatte seine Zeremonienkleider abgelegt und trug einen dunklen Umhang. Er lächelte. »Freust du dich, dass unser Herrscher eine neue Krone trägt, Alexius? Jetzt bist du ein Kaiserbote.« Der Gelehrte nahm seinen jungen Freund beim Arm: »Komm! In Sankt Peter haben auch die Wände Ohren. Wir wollen zum Vaticanum hinaufgehen. Etwas frische Luft wird uns gut tun.«
Gemütlich spazierten der Kirchenfürst und sein junger Freund im Schatten der Bäume. Sie bemerkten den stämmigen, flachsblonden Mann nicht, der ihnen mit großem Abstand folgte.
Ricolf nahm den Befehl seiner Herrin Elana ernst. Vorsichtig vermied er die offene Landschaft, bewegte sich von Baumstamm
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