Das Siegel der Macht
fertig. Soll ich dir den Mechanismus meines Astrolabiums nochmals erklären?« Keine Antwort. »Du kannst nicht immer deinen Gedanken nachhängen«, fuhr der Gelehrte fort. »Wenn du mir hilfst, wirst du abgelenkt.«
Deshalb hatte Gerbert den Kaiser gebeten, den Missus nicht sofort wieder auf die Reise zu schicken. Dieser Spätfrühling des Jahres 997 in Magdeburg sollte ihm Entspannung und Abwechslung bringen. Diskussionen am Abend, tagsüber Ausritte, die Jagd, das Astrolabium zusammensetzen.
»Es macht mir Spaß, mit Euch zu arbeiten. Aber ich kann die Mordgeschichte nicht vergessen, Gerbert. Da ist immer die Angst, dass der Antichrist auch mich töten will. Überall sehe ich Gefahren. Selbst nachts in meiner Kammer.«
»Angst ist kein Schutz. Du hast alles Menschenmögliche getan, schläfst nie allein, bewaffnete Begleiter sind bei dir. Ein Kriegsgefangener muss vorkosten, was du isst und trinkst. Mehr Vorsicht wäre nicht möglich, Alexius.«
»Das alles muss ein Ende haben.«
»Vielleicht ist die Gefahr längst vorbei, und du weißt es nicht. Wenn die Morde mit der Reimser Geschichte zu tun hatten, dann bist du deine Gegner jetzt los, denn mein Rivale sitzt erneut auf dem Erzbischofsstuhl. Eine Verschwörung gegen mich ist überflüssig geworden, ich bin nur noch ein bescheidener Lehrer und Ratgeber an Ottos Hof.«
»Glaubt Ihr wirklich, was Ihr sagt?«
»Nein, Alexius. Ich bin sicher, dass Größeres mitspielt als eine Verschwörung gegen mich. Die Gefahr ist nicht vorbei. Wir müssen die Spuren ab Peterlingen weiterverfolgen. Mein Instinkt sagt mir, dass sie auch westwärts führen, aber nicht nach Reims. Viel eher zu den Klöstern von Cluny und Fleury.«
»Von Sachsen aus sollen wir diesen Spuren nachgehen?«
»Nein. Sobald der Hof nach Italien reist, wollen wir zunächst in den Klöstern von Pavia und Farfa nachforschen. Irgendwie werden wir herausfinden, wer damals auf der Reichenau und in Peterlingen war. Wenn wir die Mörder von Carolus und Maxim endlich kennen, stoßen wir wahrscheinlich auch auf deinen mysteriösen Klosterbruder mit dem vergifteten Wein.«
Gerbert wandte sich wieder dem Astrolabium zu. Vorsichtig befestigte er einen bronzenen Viertelkreis mit Winkeleinteilung. »Hör gut zu! Ich will es dir erklären.«
»Gut.« Alexius sah die ersten Sonnenstrahlen in den Palasthof von Magdeburg fallen. Das Licht spielte mit den Stiften und Scheiben aus Metall. Gerberts Verständnis, der Blick auf die sprungbereiten Krieger gaben ihm Mut. Plötzlich war die innere Harmonie wieder da. Interessiert folgte der Missus Gerberts Worten.
»Mit der fistula habe ich den Polarstern genau fixiert. Das Astrolabium soll die Bewegungen der Gestirne und die Polhöhe festlegen.«
»Aber wozu das alles, Gerbert?«
»Mein Gerät dient der Sternbeobachtung und auch der Geometrie. Außerdem der Zeitmessung.«
»Genügen die Sanduhren denn nicht mehr?«
»Sie sind ungenau wie die Wasseruhren. Und die Sonnenuhr taugt hier im Norden nicht viel, weil sie vom Wetter abhängig ist.«
»Euer Astrolabium hingegen …«
»… ist auch ein horologium und kann die Zeit genauer messen.«
»Glaubt Ihr im Ernst, dass künftig in jeder Burg ein solches Ungetüm stehen wird?«
»Nein, Alexius. Mein Astrolabium ist ein Kontrollinstrument, es reguliert die anderen Zeitmesser. Dank dem horologium können die Wasser- und Sanduhren immer wieder genau eingestellt werden.« Gerbert bückte sich. »Fass mit an! Wir wollen die Bronzeplatte jetzt fixieren.«
Als das Astrolabium senkrecht an einem leicht aus der Palastmauer herausragenden Balken befestigt war, erklärte Gerbert: »Siehst du, die Grundplatte zeigt den irdischen Horizont mit verschiedenen Gradnetzen und dem Zenit. Auf dem drehbaren Kreis kann ich den Winkel der Sonnenbahn zur Erdscheibe ablesen.«
»Bedeutet diese Kurve die Bewegung der Erde?«
»Offenbar habe ich in deinem Studienplan die Astronomie vernachlässigt.« Gerbert lächelte, klopfte seinem jungen Freund aufmunternd auf die Schultern. »Nein, Alexius, die Erde bewegt sich nicht. Im Zentrum des Weltalls steht sie still, und die Sterne umkreisen uns …«
Alexius unterbrach den Gelehrten. »Woher wollt Ihr das so genau wissen?«
»Das können wir am Himmel beobachten. Dieselben Gestirne, die im Westen untergehen, sind nach einer gewissen Zeitspanne im Osten wieder zu sehen und ziehen erneut über den Himmel. Sie setzen ihre Wanderung unter der Erdscheibe fort, beschreiben eine endlose
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