Das Siegel der Macht
Becher Wein mit Plätzchen in die Kammer schicken lassen?«
»Wie käme ich dazu? Ihr habt beim Essen genug getrunken. Obwohl ich gestehen muss, dass auch ich vor dem Einschlafen Durst hatte. Ich glaube, die Bohnen waren zu stark gewürzt.«
»Euer Bruder Markus hat sie extra versalzen lassen. Um mich in der Nacht zum Genuss seines vergifteten Weins zu verleiten.«
»Mein Gott, Gift in einem Reformkloster!« Andreas stöhnte und ließ sich auf eine Sitzbank fallen. »Berichtet! Wieso seid Ihr gesund und munter?«
»Weil ich dem Bodensatz des Weins misstraut habe. Eine Katze hat an meiner Stelle getrunken und ist sofort verendet.«
»Aber weshalb versuchte Markus Euch zu töten? Wollt Ihr mich glauben machen, irgendein schlechter Mensch habe sich als Mönch verkleidet, nur um Euch hier in Peterlingen wochenlang aufzulauern?«
»Ich habe keine Ahnung«, gestand Alexius. »Zufällig hat er mir sicher nicht Gift in den Wein gemischt.« Alexius sprach weiter, verlor absichtlich Zeit mit überflüssigen Worten. Er musste sorgfältig überlegen. War es richtig, Bruder Andreas einzuweihen, den Stellvertreter Abt Odilos und Gegner Gerberts? Der Missus entschloss sich zur halben Wahrheit. »Das erinnert mich daran, Euch eine Frage zu stellen, die etwas ganz anderes betrifft. Könnt Ihr Euch besinnen, ob im Spätherbst des vorletzten Jahres ein Gast mit italienischem Gefolge hier mit Abt Odilo zusammentraf? Er kam von der Reichenau und war unterwegs nach Italien.«
»Mein lieber Freund. Jetzt haben wir April des Jahres 997. Das muss also im Herbst 995 gewesen sein. Und ich soll mich erinnern, wer vor so langer Zeit hier war? Da habt Ihr mich aber gewaltig überschätzt.« Der enttäuschte Gesichtsausdruck des Kaiserboten ließ den Prior lächeln. »Ich kann etwas viel Besseres bieten als mein Gedächtnis. Gestern habe ich Euch gesagt, dass in den Klöstern über fast alles Buch geführt wird. Wir besitzen auch eine Liste der wichtigen Besucher, die im Gästehaus übernachten. Wann soll das gewesen sein?«
»Im November vorletzten Jahres, kurz nach dem Lukastag.«
»Und weshalb interessiert Ihr Euch für unsere Besucher?«
»Der Kaiser selbst möchte es wissen«, flunkerte Alexius. »Ihr wisst ja, dass seine Großmutter Adelheid mit Abt Odilo befreundet ist.«
»Gut, wartet. Ich werde kontrollieren, wer damals hier war.«
Alexius blieb keine Zeit, die Situation zu überdenken. Unerwartet schnell erschien Andreas wieder in der Gästestube.
»In jenem Zeitraum hatten wir viel Besuch. November bedeutet die letzte Möglichkeit, vor den großen Schneefällen noch über die Alpen zu reisen. Auf dem Rückweg nach Süden waren damals ein Senior des Klosters Sankt Peter in Pavia und eine Delegation aus Farfa. Außerdem logierten der Gesandte eines deutschen Feudalherrn und ein Graf aus Niederburgund hier, aber unser Abt Odilo weilte zu jenem Zeitpunkt in Cluny.« Als Alexius schwieg, fragte der Klostersenior: »Wollt Ihr die Namen der Besucher wissen?«
»Es reicht, wenn Ihr mir sagt, wie die Leute aus Italien heißen.«
»Aus Pavia kam Paulus, aus Farfa ein Bruder Benedikt, beide mit Gefolge.«
»Wisst Ihr, wo die beiden vorher waren?«
»Nein, so weit geht unsere Liste nicht. Wir vermerken nur die Namen der Besucher.«
»Weshalb eigentlich?«
»Weil wir über alle Ausgaben Buch führen. Die Gäste werden in der Regel beschenkt, und das kostet.«
»Erlaubt noch eine Frage, bevor wir Weiterreisen, Vater Andreas. Könnt Ihr mir sagen, ob dieser Bruder Markus in den letzten Tagen Besuch hatte?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Vor mir haben andere Reisende die Schneeberge überquert. Das hat mir der Führer erzählt. Wisst Ihr nicht, ob sie hier Halt gemacht haben?«
»Doch, natürlich. Aber die Reiter haben nicht übernachtet, sondern nur um einen Teller Bohnensuppe gebeten.«
»Ihr wisst nicht, ob sie mit dem Bruder aus Verona gesprochen haben?«
Andreas zuckte die Achseln. Er konnte sich nicht erinnern.
16
»Schieb den Ring sorgfältig auf den Stift! Noch näher. Gut.« Gerbert von Aurillac fixierte die drehbare Deckscheibe auf der runden Bronzeplatte und begutachtete kritisch das Skelett seiner technischen Konstruktion. Metallstäbe, Nägel, Zeiger verschiedener Größen. Für Alexius und seine in der Nähe postierten bewaffneten Gefolgsmänner nichts weiter als das Spielzeug eines Gelehrten mit extravaganten Ideen.
Gerbert machte einen neuen Anlauf. »Alexius, du musst dich konzentrieren. Sonst werden wir nie
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