Das Siegel der Macht
weist uns den Weg zur Lösung aller Rätsel.«
»Ihr wollt die Wunder anzweifeln und Gottes Geheimnisse ergründen?« Der Erzbischof von Magdeburg war zwischen den Kaiser und Gerbert in die Sonne getreten. Plötzlich machte ihm die Hitze zu schaffen, er wischte sich mit der bloßen Hand den Schweiß ab.
Gerbert blieb ruhig. »Gott hat uns den Verstand gegeben, um viele Geheimnisse zu erklären. Instrumente wie das Astrolabium können uns dabei helfen.«
»Auch der Abakus, den Ihr von den Ungläubigen mitgenommen habt?«, fragte der eben aus Arneburg zurückgekehrte Gisilher provozierend.
»Mein Abakus umfasst 27 Spalten mit markierten Rechensteinen. Damit kann ich hohe Zahlen schneller multiplizieren. Unserem Zahlensystem bringt der Abakus allerdings nicht viel Nutzen. Ich experimentiere deshalb oft mit den Zahlen, die man in Arabien kennt, sie sind viel einfacher zu teilen und zu multiplizieren.«
Der Bischof von Magdeburg stieß betroffen zwischen den Zähnen hervor: »Ihr wollt Euch mit den Zahlen der Ungläubigen befassen?«
»Auch die Römer glaubten nicht an den allmächtigen Gott, als sie ihre Zahlen schufen, und doch gelten diese für uns noch heute.«
Gisilher hörte Gerberts Antwort nicht. Empört kreischte er dem Kaiser entgegen: »Habt Ihr gehört? Das ist Gotteslästerung …«
Gespannt waren Ottos Augen auf Gerbert gerichtet. Er strahlte, als der Gelehrte schmunzelnd sagte: »Alles Wissen verdient Anerkennung, egal woher es kommt, lieber Gisilher. Dies gilt besonders für die Geometrie. Je einfacher Zahlen zu handhaben sind, desto besser. Denn die Wissenschaft von den Zahlen ist die Grundlage allen Seins.«
»Alles Sein ist von Gott geschaffen«, warf der Erzbischof von Magdeburg giftig ein.
»Natürlich.« Der Gelehrte lächelte dem Prälaten zu. »Gerade in der Geometrie können wir die Weisheit des Schöpfers bewundern. Gott hat alles durch Maß, Zahl und Gewicht geordnet.«
»Das Astrolabium beweist jedenfalls, dass der Vernunftgebrauch der Vernunft vorausgeht«, behauptete Gisilher.
Er hatte sich beruhigt und genoss die eigenen Worte. Mit einem Seitenblick auf Otto fuhr er fort: »Zunächst habt Ihr Euer Instrument gebaut, Gerbert. Nun wirkt Eure Vernunft allein weiter. Wer immer das Astrolabium besitzt, kann damit alle Sand- und Wasseruhren besser regulieren.«
»Ihr täuscht Euch, lieber Gisilher.« Gerbert drehte seinem Gerät den Rücken zu und kam in Fahrt, sprach laut, denn der Kaiser folgte interessiert dem Disput. »Sätze des Griechen Aristoteles beweisen es: Am Anfang steht immer die Vernunft. Das vernünftige Handeln ist lediglich eine Konsequenz der Vernunft selbst.«
»Die gängige Meinung in Sachsen beweist das Gegenteil.«
»Dann sind die Diskussionsbeiträge der sächsischen Gelehrten eben falsch«, mischte sich der Kaiser ins Gespräch. »Ihr müsst der Frage nachgehen, Gerbert. Schreibt ein Traktat über die primäre Rolle der Vernunft!« Otto wandte sich ab und winkte seine jungen Höflinge herbei. Unter den Arkaden sagte er leise zu ihnen: »Wir wollen am Nachmittag ausreiten. Hodo weiß von drei willigen Schwestern in einem nahen Dorf.«
Mit einer Geste entließ der Kaiser die Gefolgsmänner und hielt Alexius am Arm zurück. »Recht hattest du mit deiner Vorsicht, was meine byzantinische Braut betrifft.«
»Ihr habt eine Antwort?«
»Nein, man hat mir erneut Ausflüchte aufgetischt. Offenbar wollen die byzantinischen Gesandten mich hinhalten. Ein klares Nein haben sie mir jedenfalls nicht ausrichten müssen.«
»So hofft und wartet Ihr weiter?«
»Ja, aber nicht allzu lange. Ein Kaiser braucht einen Erben. Da wir vom Heiraten sprechen, Alexius. Erinnerst du dich an Elana von der Fallsteinburg?«
»Wer könnte sie vergessen. Eine Frau, die ihr eigener Herr und Meister ist.«
»Nicht mehr lange. Sie hat mich um mein Einverständnis zu ihrer Heirat gebeten. Ein wohlhabender sächsischer Graf mit zahlreichen Privilegien ist der Zukünftige.«
»Hat sie … Euch persönlich gefragt?«
»Elana hier? Nein. Sie hat einen Boten geschickt. Mit einem von ihr unterzeichneten Brief.« Als Alexius ihn verdutzt anstarrte, fuhr der Kaiser fort: »Du weißt doch, dass Elana lesen und schreiben kann!«
»Das ist es nicht, was mich erstaunt. Elana hat mir versichert, sie werde niemals heiraten, um ihre Rechte nicht zu verlieren.«
»Auch mir gegenüber. Sie hat sich eben anders besonnen.«
»So plötzlich? Unmöglich.« Der junge Grieche verbarg seine Gefühle nicht.
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