Das Siegel der Macht
gleichgültig: »Spielt ja auch keine Rolle. Die Dirne würde ohnehin ein vaterloses Kind zur Welt bringen.«
Elana beachtete die letzten Worte der Hebamme nicht, sie überlegte angestrengt. Ich kenne die Lösung, dachte sie. Als Mädchen habe ich davon gehört. Wenn ich mich nur erinnern könnte! »Im Gästehaus irgendeines schwäbischen Klosters«, rief sie plötzlich. »Mein Vater hat davon berichtet.«
»Du sprichst im Fieber.« Sophia hielt ihr besorgt die Hand auf die Stirn.
Elana schüttelte sie ab. »Der Abt hat Eurem und meinem Vater davon erzählt, Sophia. Irgendein Mönch mit dem Beinamen der Ungeborene. Man hat seiner Mutter den Bauch aufgeschnitten und das Kind gerettet.«
»Die Frau wird daran sterben und sicher auch ihre Frucht«, protestierte die Hebamme.
»Wenn ohnehin keine Hoffnung besteht, so versuch es«, befahl Sophia der verdutzten Frau. Die Hebamme zuckte mit den Schultern und machte sich an die Arbeit.
Wendila die Ungeborene erblickte bei Vollmond das Licht der Welt. Ihre Mutter starb am gleichen Tag. An der Ammenbrust wurde das schwächliche Mädchen rasch kräftig. Zusammen mit seiner Taufpatin Elana zog es um ins Gästehaus des Kanonissenstifts.
Sophia bestand darauf, die Herrin der Fallsteinburg in Gandersheim zu behalten, bis sie wieder zu Kräften kam. Elana sagte mit Freuden zu. Ihre Burg war bei Hodo in besten Händen.
Die Morgenstunden zwischen den Gebeten verbrachte die Genesende meist in der Bibliothek. Nach einigen Tagen hatte sie gefunden, was sie suchte. Die Heilmittellehre des griechischen Arztes Dioskurides Pedanios. Elana ließ Teile davon kopieren, außerdem die Schrift eines Arztes aus Salerno. Die Fortsetzung davon wollte sie in Pavia abschreiben, wenn sich einmal die Gelegenheit ergeben würde.
Die Burgherrin fühlte sich in Gandersheim wohl. Im Stift ging es nicht so streng zu wie in einem Kloster. Die Kanonissen durften ihren Privatbesitz behalten, kleideten sich vornehm, hielten innerhalb der Klausur sogar Dienerinnen. Der Kontakt zur Verwandtschaft bestand weiter, und lediglich ein Teil der hoch gestellten Kanonissen blieb für das ganze Leben. Nicht nur Novizinnen, auch der Regel beigetretene Geweihte hatten die Möglichkeit, das Stift aus familiären Gründen wieder zu verlassen. Es gab allerdings auch Nonnen in strengen Klöstern, die nach Ablegung des Gelübdes die Klausur wieder aufgaben, um zu heiraten. Auf Wunsch ihres Vaters.
Davon sprachen Sophia und Elana einige Tage vor Weihnachten. Sie saßen zusammen am Kaminfeuer und stickten, die kleine Wendila neben sich.
»Eigentlich geht es uns ähnlich«, schlussfolgerte Elana. »Wir leben beide in unseren Mauern, sind aber frei und können uns kleiden, nähren und bewegen, wie wir wollen.«
»Aber du darfst heiraten«, seufzte Sophia.
»Du könntest es auch.«
»Otto will mich eines Tages als Äbtissin sehen. Außerdem wüsste ich nicht …« Sophia schwieg unvermittelt. Sie wurde rot und schaute zu Boden.
Elana lächelte komplizenhaft. Sie kannte die Herzensnöte der Freundin. Lebhaft erinnerte sie sich an Sophias erste Begegnung mit Erzbischof Willigis von Mainz …
Als Elfjährige sollte die Prinzessin den Schleier nehmen. Sie weigerte sich standhaft, vom Bischof von Hildesheim eingesegnet zu werden, und verlangte als Kaisertochter einen Erzbischof. Den Ausweg fand ihre kluge byzantinische Mutter Theofanu. Die beiden Bischöfe mussten gemeinsam die Einkleidung der Kanonissin vollziehen. Damals begann Sophias Schwärmerei für Willigis. Im vergangenen Jahr durfte die achtzehnjährige Prinzessin ihren Bruder nach Italien begleiten und war Augenzeugin der Kaiserkrönung in Rom. Otto ließ sich in Regierungsgeschäften gern von ihr beraten. Auf der Reise kamen Willigis und Sophia einander näher. Elana hatte ihre einstige Schulfreundin während der Krönungsfeierlichkeiten zwar nicht getroffen, aber Gerüchte gehört. Wie tief die Beziehung zwischen dem Erzbischof und der Kanonissin war, konnte sie nur ahnen. Jedenfalls informierten Feinde den Kaiser.
Nun leben Sophia und Willigis in kaiserlicher Ungnade, dachte Elana bei sich. Als Erzkanzler und Berater Ottos spielt der Prälat plötzlich keine wichtige Rolle mehr.
»Würdest du für den richtigen Mann alle deine Prinzipien und selbst deine Macht aufgeben, Elana?«, erriet Sophia ihre Gedanken.
Die Burgherrin seufzte. »So einfach ist es nicht. Wenn ich den Richtigen heirate, wird er dann auch der Richtige bleiben, ein Leben lang?«
»Du hast
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