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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Flugzeug holte, denn jeder, den man wie ihn für einen Araber halten konnte, war verdächtig. Ich könnte mir vorstellen, daß niemand über die Tragweite des Attentats überraschter war als al-Qaida. Sie hatten ein Loch in die Türme reißen wollen, sich aber bestimmt nicht vorgestellt, daß sie einstürzen würden. Vermutlich wäre die Reaktion dann weniger hysterisch gewesen und die Regierung hätte die Macht des Feindes realistischer eingeschätzt: vereinzelte Gruppen aus wenigen Kämpfern in fernen Höhlen, schlicht gestrickte Leute, fanatisch und verzweifelt und außerstande, die USA ernsthaft zu bedrohen.
    Auf dem Schild, das Andrea gemalt hatte, stand: WORTE STATT BOMBEN. Für ein Mädchen, das mit zehn Jahren seinen ersten Roman zu schreiben begonnen hatte, waren Worte zweifellos mächtig. Ich fragte sie, wie sie sich das mit den Worten anstelle von Bomben dachte, und sie erzählte, ihre Lehrerin habe die Klasse aufgefordert, sich Wege zu überlegen, wie der Konflikt friedlich zu lösen wäre. Sie hatte an ihren Vater gedacht und daran, daß sie selbst, als sie kleiner gewesen war, manchmal schreckliche Wutanfälle bekommen und blind um sich geschlagen hatte. »Da ist ein Stier in mir«, sagte sie hinterher, wenn ihr Zorn verraucht war. In solchen Momenten hatte Nico sie sanft an den Armen gehalten, sich vor sie hingekniet, um ihr in die Augen zu sehen, und bedächtig auf sie eingeredet, bis sie ruhig wurde, eine Vorgehensweise, die er so oder ähnlich in kritischen Situationen immer anwendet. Er hat einen Kurs in gewaltfreier Kommunikation besucht und wendet das Gelernte nicht nur sorgfältig an, sondern frischt es auch alle zwei Jahre auf, damit er es im Notfall wirklich parat hat.Mit Beginn der Pubertät bekam Andrea den Stier in den Griff, und das veränderte sie von Grund auf. »Es macht mir keinen Spaß mehr, meine Schwester zu ärgern«, gab Alejandro zu, als er feststellen mußte, daß er sie nicht mehr auf die Palme bringen konnte. Andrea hatte recht: Wörter können wirkungsvoller sein als Fäuste. In meinem dritten Buch sollte es darum gehen, den Stier des Krieges zu bändigen. Meine Enkel und ich breiteten eine Weltkarte auf dem Tisch meiner Großmutter aus und überlegten, wo wir das letzte Abenteuer von Alexander Cold und Nadia Santos ansiedeln wollten. Der Nahe Osten schien sich aufzudrängen, von dort sahen wir täglich Bilder in den Nachrichten; aber am brutalsten und umfassendsten ist die Gewalt in Afrika, wo straflos ganze Völker gemordet werden. Die Geschichte würde also in einem entlegenen afrikanischen Dorf spielen, in dem die Pygmäen wie Sklaven gehalten und alle Einwohner von einem wahnsinnigen Militärführer tyrannisiert werden. Tabra, auf die immer Verlaß ist, wenn es um Anregungen geht, lieh mir einen Bildband über afrikanische Stammeskönige, jeder einzelne phantastisch herausgeputzt. Die meisten besaßen nur symbolische und religiöse Macht, keine politische. In manchen Fällen wurde ihre Gesundheit und Fruchtbarkeit mit der ihres Volkes und des Bodens gleichgesetzt, deshalb wurde dem König umgehend der Garaus gemacht, wenn er Anzeichen von Krankheit oder Alter erkennen ließ, sofern er nicht so taktvoll war, von eigener Hand zu sterben. Bei einem Stamm hielt der König immer nur sieben Jahre; dann wurde er ins Jenseits befördert, und sein Nachfolger aß seine Leber. Einer der Monarchen protzte damit, hundertsiebzig Kinder gezeugt zu haben, und ein anderer posierte mit einem Harem junger, durchweg schwangerer Frauen. Der König trug einen Umhang aus Löwenfell, Federschmuck und schwere Ketten aus Gold, die Frauen trugen nichts. In dem Buch waren auch zwei mächtige Königinnen abgebildet, die ebenfallseinen Harem von Mädchen um sich hatten, aber der Text verriet nichts darüber, wer die Gespielinnen in diesem Fall schwängerte.
    Ich recherchierte viel, aber je mehr ich las, desto weniger verstand ich, und ich verlor mehr und mehr die Anhaltspunkte auf diesem riesigen Kontinent mit seinen neunhundert Millionen Menschen, dreiundfünfzig Staaten und fünfhundert Ethnien. Zu guter Letzt versenkte ich mich, allein in meinem Bau, in Magie und gelangte so geradewegs in die äquatorialen Urwälder Afrikas, wo eine Handvoll unglücklicher Pygmäen sich mit Unterstützung von Elefanten, Gorillas und Geistern von einem psychopathischen König zu befreien versuchten. Dem Schreiben wohnt etwas Prophetisches inne. Einige Monate nachdem Im Bann der Masken erschienen war, übernahm ein

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