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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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mehr, mein Brunnen der Inspiration war gefüllt, und ich war geschäftiger denn je, weil die Stiftungsidee Gestalt anzunehmen begann, aber für einen Roman braucht es brennende Leidenschaft, und die glomm zwar schon leise, mußte aber noch kräftig angefacht werden. Ich trug mich weiter mit dem Gedanken an ein »Buch der Sinne« über die Freuden guten Essens und fleischlicher Liebe. Mit Blick auf die emotionale Großwetterlage in meiner Familie mochte das sarkastisch wirken, aber so war es nicht gemeint. Ich war darauf gekommen, ehe Celia und Sally miteinander anbandelten. Ich hatte sogar schon einen Titel für das Buch, Aphrodite , offen genug, mir alle Freiheit zu lassen. Meine Mutter begleitete mich auf der Suche nach Anregung in die Pornoläden von San Francisco und erbot sich, mir bei dem Teil über die sinnliche Küche zu helfen. Ich fragte sie, woher ich erotische Rezepte nehmen sollte, worauf sie meinte, jedes mit Verführungskunst servierte Gericht wirke aphrodisierend, man müsse seine Zeit nicht mit Rhinozeroshorn und Schwalbennestern verschwenden, die auf dem Wochenmarkt so schwer zu bekommen seien. Meine Mutterstammt aus einer der katholischsten und borniertesten Gegenden der Welt, hatte in ihrem Leben nie ein Geschäft »für Erwachsene« betreten, wie das hier heißt, und ich mußte ihr aus dem Englischen die Bestimmung verschiedener Kleinteile aus Gummi übersetzen, über die sie sich kaputtlachte. Die Recherchen zu Aphrodite löste bei uns beiden erotische Träume aus. »Mit über siebzig denke ich noch immer daran«, gestand sie mir. Ich erinnerte sie, daß Großvater noch mit über neunzig daran gedacht hatte. Willie und Onkel Ramón dienten uns als Versuchskaninchen, an ihnen probierten wir die aphrodisierenden Gerichte aus, die genau wie Schwarze Magie nur wirken können, wenn das Opfer weiß, was ihm verabreicht wurde. Ein Austerngericht ohne Erklärung, daß es die Libido steigert, bleibt ohne spürbaren Effekt. Nicht alles in diesen Monaten war ein einziges Drama, wir hatten auch unseren Spaß.
    Wenn wir Zeit fanden, unternahmen Tabra, meine Eltern und ich lange Spaziergänge in deinem Wald. Vom Regen war der Bach, in den wir deine Asche gestreut hatten, angeschwollen, und der Wald roch nach feuchter Erde und Baumrinde. Wir schritten kräftig aus, ich mit meiner Mutter schweigend vorneweg, Onkel Ramón und Tabra hinter uns ins Gespräch über Che Guevara vertieft. Für meinen Stiefvater ist Tabra eine der interessantesten und schönsten Frauen, die er je kennengelernt hat – das will etwas heißen –, und sie bewundert ihn aus vielerlei Gründen, vor allem aber, weil er dem Idol der Befreiungskämpfe einmal persönlich begegnet ist und sogar ein Foto mit ihm besitzt. Onkel Ramón hat ihr die Geschichte sicher schon zweihundertmal erzählt, aber weder wird Tabra es leid zuzuhören noch er, sie zu wiederholen. Es war, als würdest du uns aus den Baumkronen zulächeln, wir gingen mit dir zusammen spazieren. Ich verzichtete darauf, meinen Eltern zu erzählen, daß dein Gespenst uns einmal mit dem Taxi zu Hause besucht hatte; wir muteten den beiden schon genug zu.
    Ich frage mich manchmal, woher mein Hang kommt, mit Geistern zu leben; es scheint, als sei anderen Menschen diese Angewohnheit fremd. Gewiß, auch ich bin nur selten einem Geist leibhaftig begegnet, und bei den wenigen Malen, bei denen das geschah, könnte ich nicht beschwören, daß ich nicht geträumt habe, aber ich zweifele nicht daran, daß dein Geist mich immer begleitet. Wie könnte ich dir sonst diese Seiten schreiben? Du machst dich auf die sonderbarsten Arten bemerkbar. Einmal zum Beispiel, als Nico eine neue Arbeit brauchte und ich dachte, ich sollte ein Unternehmen gründen, um ihn anzustellen. Ich war schon soweit, mit einem Buchhalter und zwei Anwälten zu reden, die mich mit Richtlinien, Gesetzen und Zahlen überhäuften. »Könnte ich doch Paula anrufen und um Rat fragen!« dachte ich eines Morgens laut. Im nächsten Moment kam die Post und darunter ein Brief an mich, dessen Schrift auf dem Umschlag so sehr der meinen glich, daß ich ihn unverzüglich öffnete. Darin fand ich wenige, mit Bleistift auf ein Ringbuchblatt geschriebene Zeilen: »Von nun an werde ich nicht mehr versuchen, anderer Leute Probleme zu lösen, ehe sie mich um Hilfe bitten. Ich werde mir nicht die Verantwortung für Dinge aufbürden, die mich nichts angehen. Ich werde Nico und meine Enkel nicht überbehüten.« Der Brief war von mir selbst

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