Das Siegel der Tage
Außenpolitik eines der fähigsten Präsidenten, die das Land je hatte. Die nachfolgende juristische Untersuchung hätte der Inquisition alle Ehre gemacht und kostete den Steuerzahler den lächerlichen Betrag voneinundfünfzig Millionen Dollar. Damals lud mich ein Radiosender zu einem Live-Programm ein, in dem ich Hörerfragen beantworten sollte. Einer fragte mich, wie ich die Sache sähe, und ich antwortete, als den teuersten Blowjob in der Geschichte der Menschheit. Der Satz sollte mich auf Jahre hinaus verfolgen. Man konnte die Angelegenheit unmöglich vor den Kindern geheimhalten, weil noch die schlüpfrigsten Details durch die Presse gingen.
»Was ist Oralverkehr?« fragte Nicole, weil sie das ständig im Fernsehen hörte.
»Oral? Das ist, wenn man drüber spricht«, antwortete Andrea, die den großen Wortschatz der guten Leserin besitzt.
Damals nahm eine Zeitschrift mein Buch zum Anlaß für eine Reportage bei uns zu Hause, die Lori managen mußte, weil ich partout nicht begriff, was geplant war. Drei Tage vor dem Termin tauchten zwei Künstler auf, die Lichtmessungen durchführten, Farbproben nahmen und Polaroids machten. Für die eigentliche Reportage kamen sieben Leute in zwei Lieferwagen mit vierzehn vollgestopften Kisten, aus denen sie von Messern bis hin zu einem Teesieb alles mögliche hervorzauberten. Solche Invasionen sind bei uns keine Seltenheit, aber ich werde mich nie an sie gewöhnen. Diesmal waren auch eine Innenarchitektin und zwei Küchenchefs mit von der Partie, die sich unserer Küche bemächtigten, um darin ein von meinem Buch inspiriertes Menü herzustellen. Die einzelnen Gänge entstanden in nervtötender Langsamkeit, weil jedes Salatblatt drapiert wurde wie die Feder am Hut der Queen. Willie machte das so nervös, daß er die Flucht ergriff, aber Lori schien zu begreifen, warum der verflixte Salat im genau richtigen Winkel zwischen Tomate und Spargelspitze zu liegen kommen mußte. Unterdessen ersetzte die Innenarchitektin die von Willie eigenhändig gepflanzten Blumen im Garten durch andere, buntere. Nichts davon war nachher in der Zeitschriftzu sehen, die Fotos zeigen ausschließlich Details: eine halbe Venusmuschel und ein Zitronenschnitz. Ich fragte, wozu sie die japanischen Servietten, die Schöpfkellen aus Schildpatt und die venezianischen Gartenlaternen mitgebracht hatten, aber Lori brachte mich mit einem rügenden Blick zum Schweigen. Das alles dauerte den ganzen Tag, und weil wir uns über das Essen erst hermachen durften, nachdem es fotografiert war, leerten wir fünf Flaschen Weißwein und drei Flaschen Rotwein auf nüchternen Magen. Am Ende hatte selbst die Innenarchitektin einen sitzen. Lori, die nur Jasmintee getrunken hatte, mußte die vierzehn Kisten zurück in die Lieferwagen schleppen.
Lori hielt sich länger über Wasser als andere Graphiker, aber es kam der Tag, an dem sich die roten Zahlen in ihren Büchern nicht mehr ignorieren ließen. Da schlug ich ihr vor, sich ganz um die Stiftung zu kümmern, die ich nach meiner Rückkehr aus Indien, angeregt durch dieses kleine Mädchen unter der Akazie, gegründet hatte und die von Lori eine Zeitlang stundenweise betreut worden war. Jedes Jahr geht ein beträchtlicher Teil meiner Einnahmen an die Stiftung, versuche ich deine Idee, mit den Erträgen aus meinen Büchern Gutes zu tun, ein bißchen in die Tat umzusetzen. In dem Jahr, das du schlafend verbrachtest, habe ich viel von dir gelernt, Tochter; reglos und stumm hast du mir weiter zu Einsichten verholfen wie in den achtundzwanzig Jahren zuvor. Nur wenige Menschen bekommen je die Gelegenheit, still und in sich gekehrt den eigenen Erinnerungen nachzuhängen. Ich konnte meine Vergangenheit Revue passieren lassen, mir klarmachen, wer ich eigentlich bin, wenn ich alle Eitelkeit ablege, und wer ich gern wäre in den Jahren, die mir auf dieser Welt noch bleiben. Ich übernahm deinen Leitspruch: »Man hat nur, was man gibt«, und es überraschte mich zu sehen, daß darin meine Zufriedenheit gründet. Lori ist genauso integer und mitfühlend wie du; sie würdedem Vorhaben, zu »geben, bis es weh tut«, wie du das gesagt hast, gerecht werden. Wir setzten uns an den Séancentisch meiner Großmutter und sprachen tagelang, bis die Aufgabe deutliche Formen annahm: die ärmsten Frauen der Erde mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Die rückständigsten und elendsten Gesellschaften der Erde sind die, in denen Frauen keine Chancen bekommen. Hilft man einer Frau,
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