Das Siegel des Olymps (Im Bann des Schicksals) (German Edition)
mit einer Waffe umgehen
konnte. Sie hoffte, dass er stark und alt genug war, um zu begreifen, dass sie
nicht wiederkommen würde, dass sie ihm nicht ohne Grund kein Wiedersehen geschenkt
hatte.
Eine
Träne bildete sich in ihren roten glasigen Augen und lief über ihre bleiche
Wange, als sie das Bild des kleinen Jungen vor Augen hatte.
Er
würde es schaffen. Er würde den Wachen und auch dem König zeigen, dass selbst
ein ärmlicher Bauernjunge ein Held sein konnte.
In
der Ferne hörte sie plötzlich ein leises Grollen, das durch eine leichte Brise
zu ihr herübergetragen wurde. Als sie sich nur für einen Moment umdrehte und
sah, dass der Himmel im Süden über den brachliegenden Feldern der kleinen
Bauerndörfer pechschwarz wurde und einzelne helle Lichter weit über den Wolken
zuckten, ahnte sie, dass selbst die Götter ihr nicht gnädig gestimmt waren.
Ein
weiteres Unwetter zog auf. Eines, das wohlmöglich noch schlimmer werden würde,
als das der vergangenen Nacht. Wie viel konnten die Menschen noch ertragen? Was
sollten sie nach Meinung der Götter noch durchmachen?
Serena
hatte keine Zeit, die Götter zu verfluchen, sie dafür zu hassen, dass sie sie
wie damals im Stich gelassen hatten, denn einige Wachen kletterten ihr auf die
Dächer hinterher, während andere sie am Boden mit Pfeil und Bogen ins Visier
nahmen. Sie musste zum Tempel, zum höchsten Gebäude der Polis, nur dort hatte
sie eine Chance und eine Möglichkeit, einen Ausweg zu suchen, doch der
plötzliche Wind machte ihr schwer zu schaffen. Ihre gesamte Aufmerksamkeit war
nötig, auf den spitzen Steindächern nicht das Gleichgewicht zu verlieren,
sodass sie blind für das Vorhersehbare wurde und ausrutschte.
Noch
bevor sie die Dachkante erreichte, konnte sie sich wieder fangen und einem
metertiefen Fall in die Schwertspitzen der Athener Wachen und somit den kalten
Klauen des Hades gerade noch einmal entgehen, doch der Vorsprung, den sie zu
Beginn hatte, wurde immer geringer. Ihre Seele war an einen Körper gebunden,
der langsam aber sicher an seine Grenzen kam. Sie wurde langsamer,
unvorsichtiger und körperlich schwächer. Eine andere Wahl als zu laufen, soweit
ihre Füße sie trugen, hatte sie nicht. Nicht einmal verteidigen war ihr möglich,
denn das Schwert ihres Vaters musste sie in der Eile in der Schmiede
zurücklassen. Eine schwere Entscheidung, allerdings ging es nicht anders und
nun, da sie auch physisch am Ende war, die Wachen ihr kein Moment der Erholung
gönnten, setzte sie sich das erste Mal seit langem wieder mit dem Tod
auseinander. Sie ließ die unterdrückten Gedanken frei und dachte an einen Ort,
der tief unter der Erde lag, kalt und dunkel war und aus dem es kein Entrinnen
mehr gab. Aber würde sie das dann noch kümmern? Es war eine Sorge, die
möglicherweise völlig unbegründet war, denn sie wäre wieder bei den Menschen,
die sie liebte.
Ein
lauter Schlag, der drohte, ihr die Ohren zu zerreißen und ein starker Druck,
der für einen Moment auf ihren Schultern ruhte, ließ sie zusammenfahren.
Der
markerschütternde Schrei eines Mannes fuhr unter ihre Haut und brachte sie
schließlich dazu, sich umzudrehen. Die schwarzen Wolken, die vor wenigen
Augenblicken noch über den durchnässten Feldern der Bauerndörfer hingen,
brachen über die Stadt herein. Das glänzende Licht der Sonne verschwand hinter
dem Schleier einer scheinbar undurchdringlichen Wolkendecke und hüllte Athen
erneut in tiefe Dunkelheit, doch es war nicht die düstere Wolkenwand, der kühle
Wind, der sie vom Dach zu wehen schien oder der laute Schlag, der ihr ein
unangenehmes Ziehen in den Ohren bescherte. Es war das große Loch, das sich mit
schwarzen rußartigen Rändern in das Dach hinter ihr gefressen hatte und eine
schwerverletzte Wache, die ihr sehr nahe gekommen war und nun regungslos, von
fassungslosen Menschen umringt, auf dem harten Steinboden unter ihr liegen
blieb. Ein Blitz , schoss es ihr durch den Sinn. Diese seltsamen Gewitter
waren wirklich schlimmer geworden. Erst war es nur der massige Regen, der ihnen
die Ernte ruinierte, dann die plötzlich auftretenden Winde, die Denkmäler und
Häuser zerstörten und nun waren es die Blitze, die das Leben der Menschen in
dieser Polis gefährdeten. Ein aus dem nichts auftretendes Gewitter, vor dem
Serena noch mehr Angst hatte als vor Arkios und seinen Wachen. Er hätte sie
treffen und vom Dach fegen können, ihrem erbärmlichen Leben binnen eines
winzigen Augenblickes, der nicht mal eines einzigen
Weitere Kostenlose Bücher