Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
noch hier? Aber du weißt doch, dass ich heute nicht mit nach Ehrenberg zurückkomme. Das hat die Mutter dir doch sicher gesagt?«
Der Knappe starrt sie an. »Aber nein, ich meine, wohin geht Ihr? Ihr könnt die Nacht nicht allein hier verbringen, das würde die Edelfrau nicht erlauben.«
Juliana verdreht die Augen. »Natürlich verbringe ich die Nacht nicht allein. Du siehst selbst, wie zerrüttet die Nerven der Herrin seit Tagen sind. Daher will sie, dass ich eine Weile unter der Obhut des Dekans bleibe, bis – ja – bis für die Hochzeit alles geregelt ist.«
Tilmann öffnet den Mund. »Beim Dekan?«
»Nicht in seinem Haus«, fügt sie ungeduldig hinzu. »Das wäre ja wohl nicht schicklich, oder? Bei seiner Nichte natürlich. Wusstest du nicht, dass sie hier lebt?«
Tilmann schüttelt den Kopf. Er zögert noch immer. »Warum hat die Herrin mir gar nichts gesagt?«
»Woher soll ich das wissen?« Sie seufzt dramatisch. »Offensichtlich geht es der Mutter schlechter, als es den Anschein hat. Nun gut, du kannst sie morgen herzlich von mir grüßen und ihr sagen, dass ich wohlauf bin. Und nun eile dich. – Was ist? Warum zögerst du noch? Willst du mit zu Dekan von Hauenstein kommen und die Redlichkeit seiner Absichten überprüfen?«
Sie kann nur hoffen, dass er ihre Anspannung nicht bemerkt. Ihre Finger krallen sich in den Stoff ihres Reitkleides. Wenn er jetzt zum Dekan geht, ist alles verloren.
»Nein, nein«, wehrt Tilmann ab, »ich will den Stiftsherrn nicht belästigen. Dann wünsche ich Euch alles Gute, bis wir uns wiedersehen. Soll ich sonst noch etwas bestellen?«
Juliana schüttelt stumm den Kopf. Sie fürchtet, dass sie die
Kontrolle über ihre Stimme verliert. Sie räuspert sich und gibt vor zu husten, dann versucht sie ein Lächeln.
»Nein, sonst gibt es nichts. Es genügt, wenn du die Herrin morgen aufsuchst. Sie sollte in ihrer Ruhe nicht gestört werden – solange sie in diesem Zustand ist.«
Der Knappe nickt, verbeugt sich und geht davon, um sein Pferd zu holen. Juliana wartet, bis er die Stadt verlassen hat. Dann lässt auch sie ihre Stute satteln und reitet hinauf in die Bergstadt.
Ihr erstes Ziel ist das Kloster der Dominikaner. Sie hat Glück und trifft den Infirmarius in der Kirche an. Sie nickt ihm zu und tut so, als würde sie vor dem Bild der Heiligen Jungfrau beten. Als der Mönch die Kirche verlässt, gesellt sie sich zu ihm. Sie hat keine Zeit, das Gespräch unauffällig in die gewünschte Richtung zu lenken, daher platzt sie gleich damit heraus: »Bruder Stephan, Ihr kümmert Euch doch um die Kranken – auch um die Pilger, die immer wieder durch die Stadt ziehen.« Sie sieht ihn fragend an. Der Mönch nickt.
»Wart Ihr nicht gar selbst einmal auf Pilgerfahrt nach Santiago? Ein Freund hat mir vor Jahren davon berichtet.« Wieder neigt der Mann sein ergrautes Haupt. Falls er sich über ihre Fragen wundert, dann lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken.
»Wisst Ihr den Weg nach Santiago, zum Grab des Apostels Jakobus?«
Nun betrachtet er sie mit aufmerksamem Blick, fragt aber immer noch nicht, was dieser seltsame Überfall zu bedeuten hat.
»Aber ja, mein Kind. Man reist über Cluny, Le Puy und Toulouse und dann über die Pyrenäen nach Navarra.«
Juliana unterbricht ihn. »Ich meine, erinnert Ihr Euch noch genauer an den Weg? So genau wie möglich – welche Straße man nehmen muss, wenn man von Wimpfen aus nach Sankt Jakob ziehen will.« Sein Blick scheint sie nun zu durchbohren.
»Unser Knappe Tilmann möchte nach Santiago pilgern, aber
ich fürchte, dass er vom Weg abkommen könnte«, lügt sie. »Ich würde ihm gerne helfen, dass er das Grab des Apostels sicher erreicht.« Sie sieht den Mönch flehend an.
»Nun, von hier aus geht es erst nach Süden, vorbei an Heilbronn, Nordheim und Brackenheim, weiter zum Kloster Maulbronn und an der Enz entlang. In Freiburg kann man sich nach Westen wenden, den Rhein überqueren und nach Colmar hin überwandern.« Er hält inne. »Könnt Ihr Euch das alles merken?« Juliana schüttelt schwach den Kopf.
»Dann werde ich es Euch wohl aufschreiben müssen. Euer Knappe kann doch lesen, oder?« Wieder nickt das Ritterfräulein.
»Dann wartet hier. Ich werde notieren, woran ich mich erinnere.«
Es ist dunkel und still im Haus. Juliana sitzt mitten in der großen Stube und sieht zu, wie die Schatten sich vertiefen. Die Klänge der abendlichen Stadt dringen zu ihr herauf. Die Bürger kommen zur Ruhe, das Tagewerk ist
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