Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
schmerzhafter Sonnenbrände hinter ihr. Auch ihr Knöchel schien heute viel weniger zu schmerzen, und sie blutete kaum mehr. Noch ein oder zwei Leinenstreifen, dann würde sie für die nächsten Wochen wieder Ruhe haben.
Während des Vormittags kamen sie an einer einsamen Ermita vorbei. Dörfer wurden immer spärlicher. Zwar hatten die Könige der vergangenen Jahrhunderte versucht, Untertanen hier anzusiedeln, doch nicht immer war ihren Bemühungen anhaltender Erfolg beschieden. Nur die kämpferischen Orden wie die Johanniter, auf deren Niederlassung sie bald stießen, hielten aus und versammelten einige niedrige, verstaubte Bauernhäuser in ihrem Schatten. Es war aber auch die Nähe des fließenden Wassers, das der Tierra de Campos hier ein wenig ihrer Unbarmherzigkeit nahm. Welch Erleichterung war es, eine Weile unter den Bäumen am Ufer zu wandern, ehe sie das Wasser wieder verlassen und dem Weg weiter nach Westen folgen mussten.
»Wusstest du, dass hier die berühmte Schlacht von Golpejera stattgefunden hat?«, brach Pater Bertran die Stille, als der Fluss hinter ihnen ihren Blicken entschwand.
Juliana schüttelte den Kopf. Sie hatte noch nie von diesem Ort und dieser Schlacht gehört, war jedoch froh, dass der Pater das dumpfe Schweigen brach. Nun war es an ihr, Andrés Rolle zu übernehmen und den hageren Mönch nach den Begebenheiten der Vergangenheit zu fragen.
»Es ist zwar schon beinahe zweihundertfünfzig Jahre her, doch für die Menschen hier leben die Geschichten und vor allem ihre Helden weiter. Der Cid hat hier mit König Sancho von Kastilien gegen Alfons von León gekämpft und den Leóneser geschlagen. Das war, als die Königreiche noch unter den Brüdern aufgeteilt waren. Als Gefangenen führte der Cid seinen König Alfons nach Burgos. Es sind viele Balladen und Heldenlieder über die Schlacht gedichtet worden. Lass mich sehen, ob ich ein paar Verse zusammenbekomme.« Er überlegte kurz und räusperte sich. Dann sprach er die fremd klingenden Worte, zu deren Takt das Mädchen plötzlich viel leichter dahinschritt. Immer wieder hielt Pater Bertran inne und übersetzte den Inhalt. So verstrich die Zeit, bis sie Villasirga erreichten.
»Sagt, Pater Bertran, wer war nun der Held, ich meine der gute Held?«, wollte das Mädchen wissen, als er geendet hatte.
»Der König oder der Cid? Mir kommt der Cid eher wie ein aufrührerischer Rebell, wie ein gesetzloser Raubritter vor. Unser Held Roland machte sich vielleicht der Sünde des Hochmuts schuldig, als er meinte, er könne die Feinde ohne Unterstützung des Kaisers und des Hauptheeres schlagen, doch er war stets ein treuer Ritter und Freund seines Landesherren!«
Der Augustinerpater blieb stehen und kratzte sich das spitze Kinn. »Solch eine Frage kann nur ein Franke stellen! Der Cid war alles – Aufrührer und Held. Mal auf der Seite des Königs und dann wieder gegen ihn. Er war einer dieser Männer, die es nur selten gibt, nur sich selbst, seiner Ehre und Gott verpflichtet. Und er folgte seinem Weg mit einer Zielstrebigkeit, die man bewundern muss. In der Kathedrale von Burgos soll es einen Koffer geben, der einst dem Cid gehört hat. Der König forderte ihn auf, ein Heer zum Kampf gegen die Mauren zusammenzurufen. Der Cid hatte jedoch kein Geld mehr, Männer anzuwerben. Da packte er Steine in einen Koffer, ging zu den Juden und erzählte ihnen, darin seien Kleinodien aus Gold. Diese würde er ihnen als Sicherheit lassen, wenn sie ihm das Geld für den Feldzug leihen würden. Nach der Schlacht käme er seinen Schatz auszulösen.«
»Und die Juden gaben ihm das Geld, ohne in den Koffer zu sehen?«, rief Juliana überrascht.
Der hagere Pater nickte. »So wird die Geschichte erzählt.«
»Hat der Cid Wort gehalten?«
»Ja. Als er die Schlacht geschlagen hatte, konnte er die Juden aus dem Beutegut auszahlen, das er von den Ungläubigen mitbrachte – und er bekam seinen Koffer mit den Steinen ungeöffnet zurück. Niemand hat seinen klugen Schachzug bemerkt.«
»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Bruder Rupert und strich sich über die Narbe an seinem Hals. »Irgendjemand muss den Koffer wohl geöffnet haben, sonst könntet Ihr heute die Geschichte nicht erzählen. Oder hat der Cid sich später selbst mit seinem Betrug gebrüstet?«
Pater Bertran warf dem Bettelmönch einen wütenden Blick zu. »Das war kein Betrug, das war Schlauheit!«
»Seht nur«, unterbrach Juliana die beiden Männer, bevor es zum Streit kommen konnte, und deutete auf
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