Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
die Kirche von Villasirga, der sie sich nun näherten. »Ein Teil der Kirche ist vor nicht allzu langer Zeit eingestürzt.«
Ohne eine Reaktion der Männer abzuwarten, schritt Juliana auf die festungsartige Wehrkirche zu. Als sie näher kam, erkannte sie, dass einer der beiden Türme in sich zusammengesackt war. Ein Trümmerhaufen aus Steinen und Ziegeln und ein Loch in der Kirchenwand waren stumme Zeugen des Unglücks. Das Mädchen spähte ins Innere. Eines der Querschiffe war mit kunstvollen Rosettenfenstern geschmückt. Ansonsten waren die Fensteröffnungen schlitzartig wie in einer Festung und ließen daher kaum Licht ins Kirchenschiff. Nur um das Loch der Einsturzstelle herum lag ein Teil der Kirche in hellem Sonnenlicht. Juliana trat noch ein paar Schritte näher und beugte sich vor.
Ein Mann in weißem Rock und Mantel, das rote Kreuz auf der Schulter, trat hinter einer Säule hervor und kam auf sie zu. Mit einem Schrei fuhr das Mädchen zurück. Ihr Herz klopfte unregelmäßig und begann zu rasen, als ein Sonnenstrahl das Gesicht des Mannes erreichte und den weißen Mantel zum Leuchten brachte: die große, muskulöse Gestalt, das gebräunte Gesicht mit dem sandfarbenen Haar und Bart, die blauen Augen. Tempelritter Swicker von Gemmingen-Streichenberg. War er von den Toten auferstanden? Das Mädchen griff sich an die Brust und keuchte.
»¿Qué te pasa? ¿Te sientas mal?« – »Was ist los? Fühlst du dich schlecht?« – Er trat näher und hob die Hand.
Ein Geist, er musste ein Geist sein. Juliana wurde blass und wich zurück. Er stieg über die Steinbrocken hinweg auf den Platz hinaus. Fragend wandte er sich an die beiden Mönche, die inzwischen herangetreten waren. Der Templer deutete auf das nun am ganzen Leib zitternde Mädchen, das mit weit aufgerissenen
Augen auf den weißen Mantel starrte. ¿Viaja con vosotros? – »Reist er mit Euch?« –
»Sí«, bestätigte Pater Bertran. »Viene con nosotros.«
»¿Está loco?«
Der Pater verneinte. Nein, der junge Pilger Johannes sei geistig völlig normal. Zweifelnd ließ der Templer seinen Blick an dem Mädchen herabwandern.
»Wie ist Euer Name?«, stieß sie hervor.
»Ich bin Tempelherr Sebastian von Burg Ponferrada«, sagte er und verbeugte sich.
Nein, er war kein Geist. Jetzt, als das erste Herzklopfen nachließ, konnte sie sehen, dass sein Bart lichter war, seine Gestalt schlanker, die Augen von nicht ganz so intensivem Blau. Es war alles in Ordnung. Er war nur ein junger Templer, der ihm erschreckend ähnlich sah. Nun erst sickerte durch ihren Geist, dass er ihr auf Deutsch geantwortet hatte. – Und es hörte sich so an, als wäre ihm diese Sprache vertraut.
»Wo kommt Ihr her?«, drängte sie, »Ich meine, wo seid Ihr geboren?«
Der Templer runzelte die Stirn. »Ich wurde auf Streifenberg geboren, meine Familie trägt den Namen von Gemmingen. Unsere Ländereien liegen zwischen der Kurpfalz und der Grafschaft Württemberg. Ich weiß nicht, ob dir das etwas sagt.«
»Ich kenne diese Gegend sehr gut«, ächzte das Mädchen. »Ich stamme selbst aus dem Tal des Neckars.«
Der Tempelritter lächelte sie an. »Ach ja, mir war so, als riefe der Klang deiner Stimme heimatliche Gefühle in mir wach. Mein Bruder Swicker, auch ein Templer, ist gerade nach Osten unterwegs. Er wollte auf dem Weg die Heimat besuchen. Er reist mit einem Waffenbruder aus Frankreich und mit seinem Wappner. Ich hoffe, er schafft den Rückweg über die Pyrenäen noch vor dem ersten Schnee. Sonst sehen wir uns erst im nächsten Jahr wieder.«
Er wusste es nicht. Er hatte noch nicht erfahren, dass sein Bruder tot war – ermordet von der Klinge seines eigenen Dolches,
den ihr Vater ihm ins Herz gestoßen hatte. Ihre Knie gaben nach, und sie fiel dem Templer vor die Füße. Er griff nach ihren Händen und half dem Fräulein aufzustehen.
»Dir scheint es nicht gut zu gehen. Du solltest eine Weile aus der Sonne und dich in der Kühle der Kirche erholen. Ich will die Brüder der Komturei fragen, ob sie euch etwas zu essen reichen können.«
Juliana ließ sich von dem jungen Tempelherrn in die Kirche schieben und sank auf einen Schemel nieder. Kurz darauf nippte sie an verdünntem Wein und kaute an einem Gebäck, das nach Knoblauch und Thymian schmeckte, während sich Bruder Rupert mit dem Templer unterhielt. Er lebte auf Burg Ponferrada im Westen und war, zusammen mit einem Waffenbruder, von seinem Meister mit Briefen und verschiedenen Aufträgen zu Niederlassungen der Templer
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