Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Aquitanien, ein alter Haudegen aus Anjou, der – wollte man seinen Worten glauben – alle Schlachten des Heiligen Landes mit geschlagen hatte, ein junges Ehepaar aus der Provence – er war Korbflechter – und Pierre, ein Kaufmannssohn aus Flandern, der die Pilgerfahrt für seinen Vater übernahm. Dieser müsse sich schließlich um das Geschäft kümmern und den Tuchhandel vorantreiben. Pierre war ein lustiger Geselle, so dass Juliana meist an seiner Seite schritt. Sie hatte das Gefühl, dass die neue Gesellschaft weder dem Pater noch Bruder Rupert schmeckte. Vielleicht war sie gerade deshalb froh über diese Abwechslung. Auch wurde das Wetter mit jeder Stunde, die sie sich den Bergen näherten, angenehmer. Der Wind war nicht mehr so heiß und trocken, und ab und zu milderten ein paar Wolken die sengenden Sonnenstrahlen.
Oder war es das Gebet, das sie aus ihrer trüben Stimmung gerissen hatte? War es ihre Aussöhnung mit Gott und seinen Heiligen? Dann hatte er ihre Bitten mit Wohlwollen vernommen. Ihr Herz jubelte. Der Herr würde ihr helfen. Sie war plötzlich so aufgeregt und zappelig, dass es selbst Bruder Rupert auffiel und er eine Bemerkung darüber fallen ließ. Bei jedem Dorf, bei jeder noch so kleinen Einsiedelei, der sie sich näherten, klopfte ihr das Herz stürmisch im Leib, und sie spähte in jeden Hof, in Erwartung, den Vater dort stehen zu sehen. Juliana war enttäuscht, als die anderen Pilger in einer kleinen Herberge einkehrten und beschlossen, die Nacht dort zu verbringen. Das Mädchen wollte weitergehen! Unentschlossen sah sie über die weite Ebene, über der schon bald die Sonne untergehen würde.
»Hast du noch nicht genug?«, störte sie Bruder Ruperts tiefe Stimme.
»Ich weiß nicht«, sagte sie ausweichend. »Die Herberge kommt mir nicht sehr sauber vor.«
Der Bettelmönch nickte. »Ja, das ist wahr. Ich habe bereits
zwei Wanzen von meiner Bettstatt entfernt und in der Wasserschüssel ersäuft. Willst du weitergehen? Ich kann mir Bündel und Stab holen. Es ist bestimmt noch mehr als zwei Stunden hell.«
»Aber die anderen möchten den Tag hier beenden«, warf sie ein.
Bruder Rupert zuckte mit seinen breiten Schultern. »Ja, und? Dann wandern wir beide weiter.« Es waren das Drängen in seiner Stimme und der lauernde Blick, den er ihr zuwarf, die sie zurückweichen ließen.
»Nein, die anderen haben sicher Recht, ihr Tagewerk für heute zu beenden. Wer weiß, wann wir auf die nächste Herberge treffen. Auf dieser Ebene scheint es nicht viele Dörfer zu geben.«
Einen Moment schien der Bettelmönch zu überlegen, ob er weiter drängen sollte, entschied sich jedoch offensichtlich dagegen. »Nun, wenn du meinst. Dann wollen wir sehen, ob die Suppe schon auf dem Tisch steht.«
Ohne sich zu vergewissern, ob sie ihm folgte, wandte er sich ab und stapfte zum Haus zurück.
Am Morgen zogen sie über die leicht ansteigende Ebene weiter. Die Wolken hatten sich verdichtet und hingen nun grau und schwer über ihnen, doch noch regnete es nicht, und die stürmischen Windböen trieben ihnen den Staub ins Gesicht. Dennoch waren ihre neuen Begleiter guter Stimmung. Der alte Haudegen hatte einige Krüge Wein beim Spiel gewonnen und verteilte den Inhalt nun großzügig unter den Pilgern. Bald begannen sie zu singen und wollten nicht wieder aufhören, bis sie am Mittag den Órbigo erreichten. Jetzt in den Sommermonaten floss nur wenig Wasser in den beiden Armen, zwischen denen sich eine breite, kiesige Insel ausbreitete. Pater Bertran bestätigte allerdings, dass zur Zeit der Schneeschmelze die Aue samt der Inseln
überflutet würden. Deshalb zog sich die Brücke mit ihren zwei Dutzend Bogen über die Insel hinweg von einer bis zur anderen Uferböschung, wo sich ein Dorf erhob.
Endlich wurde das Land wieder hügeliger, Steineichen bedeckten die rötlichen Kuppen, in den Tälern und an den unteren Hängen wuchsen Getreide und Wein, oder es weideten Schafe auf den Wiesen zwischen Obstbäumen, die voll reifer Früchte hingen. Obwohl zwei Hunde sie wütend ankläfften, pflückten sich die Pilger ihre Taschen voll. Alle außer Pater Bertran, der mit finsterer Miene auf dem Weg stehen blieb und von der Sünde des Diebstahls sprach. Vom Gebell angelockt, trat der Bauer aus seiner Scheune und hob die Faust. Er schrie Worte, die Juliana nicht verstand. Dass er sie des Diebstahls wegen beschimpfte, war ihr aber auch so klar. Rasch hob sie noch einen herabgefallenen Apfel auf und lief den anderen hinterher,
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