Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
in Hispanien unseren Apostel Jakobus«, fügt Wolf hinzu, der ihren fragenden Blick sieht. »Jakob oder Jakobus der Ältere. Er hat viele Namen: Iacobus, Jaques oder eben auch Santiago.«
»Sie beten am Grab des heiligen Apostels«, wiederholt Juliana und zieht die Nase kraus.
»Ja, so wie die Pilger nach Rom ziehen, um an Petri Grab Vergebung zu erlangen oder zu den heiligen Stätten von Jerusalem, so wandern auch viele nach Santiago. Es sind Tausende jedes Jahr, hat mir Gilg, der Jüngste der drei, gesagt.«
Juliana versteht das nicht. »Ich kann zum Beten auch in die Kirche nach Wimpfen gehen oder nach St. Peter und Pater von Hauenstein besuchen. Es muss nicht das Grab von Jakobus sein.«
»In St. Peter bekommst du aber keinen Ablass«, gibt Wolf zu bedenken.
»Ach, dann sind diese Männer große Sünder und müssen deshalb so weit wandern?«
»Nein!«, ruft Wolf verzweifelt, »du begreifst das nicht. Der Apostel tut viele Wunder, und es ist für die Seele Reinigung und eine Freude, an dieser heiligen Stätte zu sein.«
Juliana sieht ihn an und runzelt irritiert die Stirn. »Du hast vollkommen Recht, das verstehe ich nicht. Meine Seele empfindet auch auf Ehrenberg und in Wimpfen Freude, und ich habe keine Sünden auf mich geladen, die mich zwingen, zu einem Grab in einem fernen Land zu pilgern.« Sie rafft Rock und Unterkleid und geht auf den Palas zu.
»Und was ist mit der Sünde des Hochmuts und der Eitelkeit? Die hast du gerade auf dich geladen!«, ruft Wolf ihr nach.
Zwei Wochen später liegen Wolf und Juliana in einem Heuhaufen auf der Hochebene im Westen von Ehrenberg und beobachten, wie der Wind die Wolken über den Himmel treibt.
»Diese dort ist ein Pferd«, sagt Wolf und deutet nach oben. »Sieh die Beine. Es läuft im Galopp, ein heißblütiger Hengst mit schlanken Fesseln, wie sich der Greck von Kochendorf einen gekauft hat.«
Juliana kichert. »Reinrassig kann er nicht sein, dein Wolkenhengst. Sieh dir seine Ohren an. Ich halte ihn für einen Esel – oder höchstens für ein Maultier – also völlig ausreichend für einen Schildknappen von dreizehn Jahren.«
Wolf schnaubt ärgerlich. »Du bist dran.«
»Dort hinten segelt ein großes Schiff auf uns zu. Sieh nur hier den Rumpf und dort zwei Masten mit geblähten Segeln.«
Wolf dreht den Kopf und versucht, das Bild in dem sich auftürmenden Wolkenberg zu erkennen.
»Ja, es ist eines dieser Riesenschiffe, die auf dem Meer fahren, weit draußen, so dass kein Land mehr in Sicht ist.«
»Bis ans Ende der Welt«, ergänzt Juliana verträumt.
»Finis terrae – das Ende der Welt. Wusstest du, dass die Felsen von finis terrae kaum drei Tagesmärsche von Santiago entfernt sind? Man muss nur weiter nach Westen gehen, dann erreicht man das Ende der Welt.«
Juliana stöhnt und hält sich die Hände vor die Augen. »Schon wieder der alte Apostel Jakob. Ich dachte, diese Geschichte läge hinter uns.«
Wolf springt auf. »Das ist nichts, was jemals hinter uns liegen kann. Du musst einmal richtig darüber nachdenken. Es ist das Grab des Apostels! Er hat Jesus gekannt und ist mit ihm gewandert. Er hat seine Wunder gesehen und seinen Leidensweg miterlebt. Und er ist Zeuge der Auferstehung geworden! Sein Leib ruht in der Krypta unter der Kathedrale, und jeder Pilger kann seinen Sarkophag berühren! Und nicht nur das. Der Apostel weilt noch unter uns. Er tut Wunder. Er ist den Christen in den Schlachten gegen die Mauren erschienen und ist auf seinem großen, weißen Pferd mit ihnen in den Kampf gezogen. Maurentöter nennen sie ihn voller Verehrung. Er hat dafür gesorgt, dass heute fast ganz Hispanien wieder christlich ist.«
»Er ist leibhaftig dabei und schlägt den Ungläubigen mit dem Schwert die Köpfe ab?«, zweifelt Juliana. Die Vorstellung ist ihr unheimlich.
»Aber ja, so haben es mir die Pilger in Wimpfen erzählt.«
In Julianas Geist tobt eine blutige Schlacht. Ein bärtiger Mann auf einem riesigen Ross reitet über tausend erschlagene Leiber und reckt sein Schwert in die Höhe, dessen Klinge rot glänzt.
»Ich weiß nicht, ich bete lieber weiter zur Heiligen Jungfrau, der barmherzigen, der friedfertigen.«
Wolf macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bete auch zum Herrn und zur Heiligen Jungfrau, und dennoch muss ich immer an Sankt Jakob denken und wie wundervoll es wäre, sein Grab mit eigenen Augen zu sehen und mit meinen Händen zu berühren. Schon jetzt kann ich meine Unruhe kaum mehr bezähmen. Denke nur, wie aufregend
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