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Das Sigma-Protokoll

Das Sigma-Protokoll

Titel: Das Sigma-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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gewesen; ein Ort, wo die durch die Unordnung im Zweiten Empire befeuerten Aufständischen der Pariser Kommune große Unterstützung gefunden hatten; ein Ort der Unzufriedenen und Vernachlässigten. Berühmt war das 20. Arrondissement allerdings für seinen Friedhof Pere Lachaise, einen vierundvierzig Hektar großen Garten voller Grabsteine. Seit dem 19. Jahrhundert ließen sich Pariser Bürger, die zeitlebens nie einen Fuß in dieses Arrondissement gesetzt, geschweige denn dort gelebt hatten, auf dem Pere Lachaise zur letzten Ruhe betten.
    Während Ben und Anna wie Touristen durch die Straßen spazierten, nahmen sie die Atmosphäre des Viertels in sich auf. Die duftenden Falafelstände; den stampfenden Rhythmus nordafrikanischer Popmusik, der aus offenen Fenstern dröhnte; die Straßenhändler, die billige Strümpfe und alte, abgegriffene Ausgaben von Paris-Match verhökerten. So bunt die Kleidung der Menschen, so vielfältig war auch das Sprachengewirr. Man sah junge Künstler mit verschlungenen Bodypiercings, die sich ohne Frage für legitime Nachfolger Marcel Duchamps hielten, und Einwanderer aus dem Maghreb, die auf Arbeit hofften, um ihren Familien in Tunesien und Algerien Geld schicken zu können. Hin und wieder roch man den kräftigen, harzigen Duft von Marihuana und Haschisch, der aus einer schmalen Gasse auf die Straße wehte.
    »Kaum zu glauben, dass sich ein ehemaliger Industrieboss in so ein Viertel zurückzieht«, sagte Anna. »Gibt’s keine schnuckeligen Strandhäuser an der Cote d’Azur mehr?«
    »Ist doch perfekt«, sagte Ben nachdenklich. »Gibt nichts Besseres, wenn man untertauchen will. Niemand kennt dich, niemand achtet auf dich. Wenn er aus irgendeinem Grund in der Stadt bleiben wollte oder musste, gibt’s wahrscheinlich keinen Ort, der vielfältiger ist: alte und neue Einwanderer, Künstler und exzentrische Figuren jeder Spielart.« Im Gegensatz zu Anna
kannte Ben Paris. Die Vertrautheit mit der Stadt gab ihm die Selbstsicherheit, die er jetzt gut gebrauchen konnte.
    Anna nickte. »Die Sicherheit der Menge.«
    »Es ist optimal: ein Labyrinth kleiner Straßen, die öffentlichen Verkehrsmittel vor der Tür, ein Bahnhof und die Périphérique. Jede Menge Fluchtwege.«
    Anna lächelte. »Sie lernen schnell. Wollen Sie einen Job bei der Regierung? Fünfundfünzigtausend plus reservierter Parkplatz.«
    »Klingt verlockend«, sagte Ben.
    Sie gingen am La Flèche d’Or vorbei, einem Restaurant mit roten Dachziegeln, das wie eine Brücke über die verrosteten Gleise einer verlassenen Bahnstrecke gebaut war. Dann ließ sich Anna von Ben in ein kleines marokkanisches Café führen. In der schwülen Luft hing der Duft von Couscousgerichten.
    »Keine Ahnung, wie das Essen ist«, sagte er. »Aber die Aussicht hat was für sich.«
    Durch das Spiegelglas sahen sie direkt auf das dreieckige Gebäude Rue des Vignoles Nr. 1554. Der siebenstöckige Bau füllte eine dreieckige Insel aus, an deren Seiten drei schmale Straßen entlangführten. Die von den Autoabgasen geschwärzte Fassade war besprenkelt mit weißlichem Vogelkot. Das in jeder Hinsicht unauffällige Gebäude dämmerte altersschwach vor sich hin. Auf dem Platz davor befanden sich die Überreste eines von Erosion zerfressenen Springbrunnens, der aussah, als sei er in der Sonne geschmolzen. Die Marmorplatten, die reich verzierte Umrandung und das Geländer schienen einer verrückten, längst vergangenen Zeit anzugehören. Einer Zeit, als man noch hochfliegende Pläne für das Arrondissement entwickelt hatte.
    »Laut Peyaud ist er unter dem Spitznamen >L’Ermite< bekannt. Der Eremit. Er bewohnt das gesamte obere Stockwerk. Dass er überhaupt da ist, weiß man nur, wenn man aus der Wohnung Geräusche hört. Oder wenn er sich Lebensmittel bringen lässt. Aber auch die Lieferanten haben ihn noch nie zu Gesicht bekommen. Sie laden das Zeug in den Speisenaufzug, und wenn der wieder runterkommt, liegt das Geld drin. Die paar Leute, die zumindest schon mal von ihm gehört haben, tun ihn als schrulligen Exzentriker ab. Und von denen gibt’s ja hier sowieso jede Menge.« Er biss hungrig in seine Lammtagine.

    »Dann lebt er also völlig zurückgezogen?«
    »Das ist noch untertrieben. Niemand kann sich daran erinnern, ihn je gesehen zu haben. Peyaud hat mit einer Frau gesprochen, die im Erdgeschoss wohnt. Sie und alle anderen Hausbewohner stellen sich ihn als einen ältlichen, paranoiden und krankhaft scheuen Rentner vor. Und keiner weiß, dass er der Besitzer

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