Das Sigma-Protokoll
Leuten dar - einige sind Industrielle, die wir kennen, über die Identität von anderen wiederum haben wir rein gar nichts herausgefunden. Gemeinsam ist ihnen, dass einer der Gründer der CIA, ein Mann mit gewaltigem Einfluss in den Vierzigern und Fünfzigern, sich für sie interessierte. Hat er sie angeworben? Hat er sie überwachen lassen? Wir spielen alle Blindekuh. Auf jeden Fall scheint es sich um ein äußerst geheimes Unternehmen gehandelt zu haben. Sie fragen, was diese Männer verbindet. Wir wissen es nicht, ganz einfach.« Er zupfte penibel seine Manschetten zurecht. »Man könnte sagen, dass wir uns noch im Taschenuhrstadium befinden.«
»Nichts für ungut, aber ist die Sigma-Liste wirklich fünfzig Jahre alt?«
»Waren Sie schon mal an der Somme, in Frankreich?«, fragte er plötzlich, und seine Augen schienen aufzuleuchten. »Lohnt sich - schon allein wegen der Mohnblumen, die in den Weizenfeldern wachsen. Ab und zu kommt es vor, dass ein Bauer eine Eiche fällt, sich zum Ausruhen auf den Baumstumpf setzt, kurz danach krank wird und stirbt. Wissen Sie warum? Weil während des Ersten Weltkriegs auf genau diesem Feld eine Schlacht stattgefunden hat, in der auch Senfgas eingesetzt wurde. Der Schössling hat damals das Gift absorbiert, das Jahrzehnte später immer noch giftig genug ist, um einen Menschen zu töten.«
»Und Sie glauben, dass Sigma dafür verantwortlich ist?« Bartlett schaute sie jetzt durchdringend an. »Man sagt: Je mehr man weiß, desto mehr weiß man, dass man nichts weiß. Ich sage: Je mehr man weiß, desto beunruhigender ist es, über Dinge zu
stolpern, von denen man nichts weiß. Sie können es Eitelkeit nennen oder Vorsicht. Ich mache mir Sorgen darum, was aus den vielen noch unentdeckten Schösslingen wird.« Er lächelte schwach. »Das krumme Holz, aus dem der Mensch gemacht ist. Darauf läuft es immer wieder hinaus - auf das krumme Holz. Ich kann verstehen, wenn Sie das alles für verstaubte Geschichte halten. Vielleicht haben Sie Recht, Miss Navarro. Dann können Sie mir nach Ihrer Rückkehr den Kopf waschen.«
»Ich weiß nicht recht...«
»Sie setzen sich jetzt mit diversen Strafverfolgungsbehörden in Verbindung. Die denken alle, dass Sie eine ganz normale Morduntersuchung durchführen. Warum darauf ein OSI-Agent angesetzt wird? Ihre Erklärung ist kurz und bündig: Weil bewusste Namen während der laufenden Untersuchung in einem Unterschlagungsfall aufgetaucht sind. Niemand wird Sie nach Details fragen. Ganz simple Tarnung.«
»Ich werde die Art von Untersuchung durchführen, für die ich ausgebildet worden bin«, sagte Anna müde. »Mehr kann ich nicht versprechen.«
»Mehr verlange ich auch nicht von Ihnen«, sagte Bartlett aalglatt. »Vielleicht stellt sich Ihr Misstrauen als berechtigt heraus. Wie auch immer, ich will Sicherheit. Fahren Sie nach Nova Scotia. Verschaffen Sie mir die Gewissheit, dass Robert Mailhot eines natürlichen Todes gestorben ist. Oder beweisen Sie mir das Gegenteil.«
4. KAPITEL
Zürich
Ben wurde ins Hauptquartier der Kantonspolizei in Zürich gebracht, das sich in einem schmutzigen, aber eleganten alten Steinbau in der Zeughausstraße befand. Zwei wortkarge junge Beamte begleiteten ihn durch eine Tiefgarage und dann über mehrere Treppen in ein moderneres Gebäude, das an den Altbau angrenzte. Die Inneneinrichtung erinnerte an eine amerikanische Vorstadt-Highschool von 1975. Auf Fragen reagierten seine Begleiter mit Schulterzucken.
Bens Gedanken überschlugen sich. Das war kein Zufall gewesen. Cavanaugh hatte ihm in der Bahnhofstraße aufgelauert; er war in Zürich gewesen, weil er ihn hatte ermorden wollen. Irgendwie war die Leiche verschwunden, war schnell und gekonnt weggeschafft und die Pistole in seiner Reisetasche versteckt worden. Es war offensichtlich, dass Cavanaugh Hilfe von Profis bekommen hatte. Aber von wem? Und warum?
Zuerst wurde Ben in einen kleinen von Neonröhren erleuchteten Raum geführt und vor einem Stahltisch auf einen Stuhl gesetzt. Seine Begleiter blieben neben ihm stehen. Dann tauchte ein Mann in einem kurzen weißen Kittel auf und sagte, ohne ihn anzuschauen: »Ihre Hände, bitte.« Ben streckte die Arme aus. Debattieren zwecklos. Der Techniker nebelte mit einer Flüssigkeit aus einer Plastiksprühflasche Bens Hände von beiden Seiten ein und rieb ihm mit einem Baumwolltupfer leicht, aber gründlich erst den rechten Handrücken ab. Dann steckte er den Tupfer in eine Plastikröhre. Er wiederholte die Prozedur
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