Das Sigma-Protokoll
mit der Innenseite der rechten Hand und dann mit beiden Seiten der linken Hand. Mit vier Tupfern in vier sorgfältig beschrifteten Röhren verließ der Techniker den Raum.
Ein paar Minuten später stand Ben in einem freundlichen, spärlich eingerichteten Büro im zweiten Stock einem breitschultrigen untersetzten Mann in Zivil gegenüber. Er stellte sich als Kommissar Thomas Schmid vor, Morddezernat. Er hatte ein breites, pockennarbiges Gesicht und sehr kurzes Haar. Ben erinnerte sich an eine Schweizer Frau, die ihm in Gstaad einmal erzählt hatte, dass Polizisten in der Schweiz Bullen genannt werden. Ben wusste jetzt, warum.
Schmid begann mit den üblichen Fragen: Name, Geburtsdatum, Passnummer, Hotel in Zürich etc. etc. Er tippte die Antworten mit einem Finger in einen Computer ein. An seinem Hals hing eine Lesebrille.
Ben war verärgert, müde und frustriert, seine Nerven lagen blank. Er musste sich enorm anstrengen, um ruhig zu bleiben. »Bin ich jetzt verhaftet oder nicht?«, fragte er.
»Sind Sie nicht.«
»Ich habe mich ja wirklich köstlich amüsiert, aber wenn ich nicht verhaftet bin, dann würde ich gern wieder zurück in mein Hotel.«
»Wenn Sie es wünschen, verhaften wir Sie gern«, sagte der Kommissar höflich und lächelte drohend. »Wir haben eine wunderschöne Zelle für Sie. Es wäre jedoch einfacher, wenn wir das gütlich regeln könnten.«
»Darf ich telefonieren?«
Schmid deutete auf das Telefon, das am Rand des überladenen Schreibtischs stand. »Sie können Ihr Konsulat oder einen Anwalt anrufen. Wie Sie wollen.«
»Danke«, sagte Ben. Er hob den Hörer ab und schaute auf seine Armbanduhr. In New York war es jetzt kurz nach Mittag. Die Anwälte der Hartman Capital Management waren alle auf Steuer- oder Wertpapierrecht spezialisiert. Also rief er einen Freund an, der eine Kanzlei für internationales Recht betrieb.
Howie Rubin und er waren in Deerfield in derselben alpinen Skimannschaft gewesen. Seitdem konnte man sie enge Freunde nennen. An Thanksgiving war Howie ein paar Mal in Bedford gewesen und hatte sich - wie alle Freunde von Ben - vor allem zu dessen Mutter hingezogen gefühlt.
Howie war beim Lunch. Der Anruf wurde zu seinem Handy
weitergeleitet. Der Lärm im Restaurant war so laut, dass Ben nicht wusste, ob Howie ihm oder seinen Tischnachbarn zuhörte.
»Scheißgeschichte«, sagte Howie, nachdem Ben ihm alles erzählt hatte. Ben hörte eine fremde, laute Stimme und dann wieder Howies Stimme. »Also gut, ich sag dir jetzt, was ich meinen Klienten immer sage, wenn sie beim Skiurlaub in der Schweiz im Knast landen. Schön freundlich bleiben und aussitzen. Spiel nicht den Großkotz, lass nicht den empörten Ami raushängen. Wenn dich jemand mit Vorschriften und Gesetzesbuchstaben niedermachen kann, dann die Schweizer.«
Ben schaute zu Schmid, der auf der Tastatur herumtippte und sicher die Ohren spitzte. »Tja, schätze, ich weiß, was du meinst. Was soll ich also tun?«
»In der Schweiz dürfen sie dich bis zu vierundzwanzig Stunden festhalten - ohne Haftbefehl.«
»Du machst Witze.«
»Und wenn du ihnen dumm kommst, dann werfen sie dich bis zum nächsten Morgen in eine kleine stinkende Zelle. Also reiß dich zusammen.«
»Was genau soll ich tun?«
»Hartman Baby, mit deinem Charme kannst du ʹnen Hund aus der Metzgerei locken, also sei einfach so wie immer. Gibt’s Probleme, rufst du mich an. Dann häng ich mich ans Rohr und drohe Ihnen mit internationalen Verwicklungen. Einer meiner Partner hat ziemlich viel mit Industriespionage zu tun. Das heißt: Wir haben Zugang zu ein paar ziemlich gewichtigen Datenbanken. Mal sehen, was ich über Cavanaugh rauskriege. Gib mir eine Nummer, unter der ich dich erreichen kann.«
Nachdem Ben aufgelegt hatte, führte Schmid ihn in das angrenzende Zimmer und deutete auf einen Stuhl neben einem weiteren Schreibtisch mit Tastatur und Monitor. »Waren Sie schon mal in der Schweiz?«, fragte Schmid im freundlichen Ton eines Fremdenführers.
»Schon öfter«, sagte Ben. »Meistens zum Skifahren.«
Schmid nickte besorgt. »Beliebter Freizeitsport. Sehr gut, um Stress abzubauen, um Druck abzulassen.« Seine Augen verengten sich. »In Ihrem Job müssen Sie jede Menge Druck aushalten.«
»Würde ich so nicht sagen.«
»Unter Stress machen die Menschen die merkwürdigsten Sachen. Tag für Tag fressen sie alles in sich hinein, und plötzlich, eines Tages, BUMM! Sie explodieren. Wenn das passiert, sind sie selber nicht weniger überrascht
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