Das Sigma-Protokoll
telefonisch ankündigte. Ben wollte ihn überraschen, wollte seine Reaktion sehen, wenn er dem vermeintlichen Peter Hartman gegenübertrat. Oder wusste Deschner schon, dass Peter tot war?
Die Tür wurde geöffnet, und Matthias Deschner stand in einem grün karierten Bademantel vor ihm. Er war klein, hatte ein blasses zerfurchtes Gesicht und trug eine Nickelbrille mit dicken Gläsern. Das rötliche Haar war an den Schläfen etwas gekräuselt. Ben schätzte ihn auf etwa fünfzig.
Er schaute ihn überrascht an. »Großer Gott«, sagte er. »Was soll die Verkleidung? Komm erst mal rein, bleib nicht da draußen stehen, komm schon.«
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, fragte er: »Willst du einen Kaffee?«
»Ja, danke.«
»Was machst du überhaupt hier? Ist was mit Liesl?«
»Ich bin nicht Peter. Ich bin Ben, sein Bruder.«
»Sein was? Sein Bruder?« Er starrte ihn mit offenem Mund an. Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Was ist mit Peter? Haben sie ihn etwa...?«
»Peter wurde vor ein paar Tagen ermordet.«
»O mein Gott«, sagte Deschner leise. »Also doch. Er hatte immer befürchtet, dass sie ihn eines Tages finden würden.« Plötzlich schaute Deschner ihn flehend an. »Liesl... was ist mit Liesl?«
»Es geht ihr gut.«
»Gott sei Dank.« Er schaute Ben an. »Entschuldigung, aber Sie müssen das verstehen.«
»Sicher. Schon gut. Sie ist schließlich Ihre Kusine.«
Deschner stand vor dem kleinen Küchentisch und schenkte Ben eine Tasse Kaffee ein. »Wie um Himmels willen ist das passiert?«, fragte er erschüttert.
»Am Tag des Massakers in der Bahnhofstraße, da sind Sie aufgeflogen. Und zwar morgens in der Bank, als Sie Ihren Termin hatten«, sagte Deschner, nachdem Ben ihm den Tod Peters beschrieben hatte. Die beiden saßen sich am Küchentisch gegenüber und dachten nach. Ben hatte die weite Uniform, die er über der normalen Straßenkleidung getragen hatte, wieder ausgezogen. »Die Union Bank of Switzerland ist ein Zusammenschluss mehrerer älterer Banken. Vielleicht gab es da noch irgendwo ein altes sensibles Konto, auf das sie ein Auge hatten. Vielleicht einer aus der Gesprächsrunde. Ein Mitarbeiter der Bank. Oder ein anderer Informant, dem man eine Checkliste gegeben hatte.«
»Jemand, der von dieser Organisation oder einem ihrer Ableger eingeschleust worden ist?«
»Gut möglich. Alle Großunternehmen pflegen langjährige, äußerst harmonische Beziehungen zu den wichtigsten Schweizer Banken. Mit der kompletten Liste der Gründungsmitglieder hätten wir auch einen Verdächtigenkreis.«
»Hat Peter Ihnen die Liste gezeigt?«
»Nein. Zuerst wollte er mir nicht mal sagen, warum er das Konto überhaupt eröffnen wollte. Ich wusste nur, dass dabei der finanzielle Aspekt eine Nebenrolle spielte. Wichtig war ihm das Schließfach, das dazugehörte. Um darin ein paar Dokumente aufzubewahren, hat er gesagt. Was dagegen, wenn ich rauche?«
»Ist Ihre Wohnung.«
»Na ja, ich habe nur gerade daran gedacht, was für -verzeihen Sie mir den Ausdruck- Faschisten die Amerikaner sind, wenn es ums Rauchen geht.«
Ben lächelte. »Nicht alle.«
Deschner nahm eine Zigarette aus einer Rothmans-Schachtel, die neben seinem Teller lag, und zündete sie mit einem billigen Plastikfeuerzeug an. »Peter hat darauf bestanden, dass das Konto nicht unter seinem Namen eröffnet wird. Er befürchtete - zu Recht, wie sich herausstellte -, dass seine Feinde Verbindungen bis in die Banken hinein haben. Er wollte das Konto unter einem
falschen Namen eröffnen, was aber nicht mehr möglich war. In dem Punkt haben die Banken ihre Bestimmungen verschärft. Hauptsächlich aufgrund außenpolitischen Drucks - vor allem aus den USA. Erst in den Siebzigern musste man zumindest einen Pass vorlegen. Vorher konnte man sein Konto sogar per Post eröffnen. Lange vorbei.«
»Dann hat er es also unter seinem richtigen Namen eröffnet?«
»Nein, unter meinem. Ich bin der Kontoinhaber, und Peter war der so genannte wirtschaftliche Besitzer.« Er blies eine Rauchwolke in Richtung Decke. »Wir mussten zusammen zur Bank, um das Konto zu eröffnen, aber Peters Name erscheint nur auf einem einzigen Formular. Und zwar auf dem Identifizierungsnachweis des wirtschaftlichen Besitzers - und dieses Formular hat nur der Kundenbetreuer. Es kommt zu den Akten und ist niemandem zugänglich.« Im Nebenraum klingelte das Telefon.
»Bei welcher Bank ist das Konto?«
»Bei der Handelsbank Schweiz AG. Kleine und diskrete Bank. Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher