Das Sigma-Protokoll
zugeteilt worden.« Bartletts sorgfältig gepflegte Maske von Besorgnis und Edelmut war gefallen. Anna bekam jetzt einen kleinen Eindruck von der stählernen Härte, die einen Mann wie Bartlett an die Spitze einer der einflussreichsten Ermittlungsbehörden gebracht hatte. »Das liegt nicht in Ihrem Ermessen.«
»Ich könnte krank werden, wäre plötzlich nicht mehr in der Lage, meine Pflicht zu erfüllen. Dürfte nicht mehr mit dem Flugzeug reisen.«
»Das passt nicht zu Ihnen. Das würden Sie nie tun.«
»Nicht, wenn ich die Liste kriege.«
»Ausgeschlossen. Ich wiederhole mich. Diese Operation muss nach ganz bestimmten Regeln durchgeführt werden. Falls diese Regeln gelegentliche Einschränkungen zur Folge haben, haben Sie diese als Bestandteil Ihrer Nachforschungen hinzunehmen.«
»Also«, sagte sie. »Dreizehn alte Männer von Ihrer Sigma-Liste sind ums Leben gekommen. Man kann sagen, unter >fragwürdigen Umständen<. Drei leben noch. Ist das so weit richtig?«
»Nach allem, was wir wissen, ja.«
»Okay, lassen Sie mich es so ausdrücken: Wann immer einer von diesen Typen stirbt, kommen wir an die Leiche nur dann heran, wenn wir offiziell, egal auf welcher Ebene, mit der jeweiligen Regierung zusammenarbeiten. Richtig? Wenn wir uns aber an einen heranmachen könnten, bevor er umgebracht wird... Mir ist klar, dass meine Aufgabe darin besteht, die Fälle von Toten, nicht von Lebenden zu untersuchen. Aber wenn wir sie als potenzielle
Zeugen betrachten und vierundzwanzig Stunden am Tag beschatten würden - diskret natürlich...«
Bartlett schaute sie an. Auf seinem Gesicht spiegelte sich ein innerer Kampf. Dann stand er auf und ging zu einem Safe, der größer als er selbst war. Er öffnete die Tür, holte eine Aktenmappe heraus und reichte ihr ein Blatt mit drei verschiedenen Stempeln, die besagten, dass betreffendes Papier erstens höchster Geheimhaltung unterlag, zweitens keinem ausländischen Staatsbürger und drittens ausschließlich fest angestellten Regierungsmitarbeitern überlassen werden durfte. »Die Liste«, sagte Bartlett leise.
Sie überflog schnell die Namen und Zahlen. Decknamen, echte Namen, Namen noch lebender Verwandter, Aktenzeichen. Drei Männer lebten noch. Herkunftsländer: Portugal, Italien, Schweiz.
»Keine Adressen?«, fragte sie.
»Nur alte. Wir konnten auf normalem Wege keine aktuellen ermitteln. Alle drei haben im vergangenen Jahr den Wohnsitz gewechselt.«
»Im vergangenen ]ahr? Die können überall auf der Welt sein.«
»Die Möglichkeit besteht. Die Wahrscheinlichkeit spricht aber eher dafür, dass sie sich noch im gleichen Land und sogar in der gleichen Gegend aufhalten. Ab einem gewissen Alter neigt der Mensch dazu, sich eine Art festen Lebensmittelpunkt zu suchen. Sich vollständig zu entwurzeln, fällt alten Menschen sehr schwer. Selbst bei Gefährdung der eigenen Sicherheit gehen sie nicht über ein bestimmtes Maß an persönlicher Veränderung hinaus. Was natürlich nicht heißt, dass sie gleich Nachsendeanträge stellen. Offenbar leben sie sehr zurückgezogen.«
»Sie verstecken sich«, sagte Anna. »Sie haben Angst.«
»Anscheinend haben sie auch allen Grund dazu.«
»Seltsame Altherren-Liga. Als hätten ein paar steinalte Rentner noch ein paar offene Rechnungen zu begleichen. Wie kann etwas, das älter als die CIA ist, heute noch solche Kräfte freisetzen?«
Bartlett verrenkte den Hals und betrachtete die mit Samt ausgeschlagene Vitrine. Dann drehte er sich wieder um. »Bestimmte Dinge werden mit dem Alter mächtiger. Und natürlich wäre es ein schwerer Fehler, würde man Größe mit Einfluss verwechseln. Die CIA ist heute eine ausufernde schwergewichtige Regierungsinstitution
mit zahllosen bürokratischen Ebenen. Am Anfang konzentrierte sich die wahre Macht da, wo sich persönliche Seilschaften bildeten. Das galt für Bill Donovan, den Gründer des OSS, und erst recht für Allen Dulles. Bekannt geworden ist Dulles für die Rolle, die er bei der Gründung der CIA spielte, aber das war nicht seine eindrucksvollste Leistung. Für ihn selbst war nur eins wichtig - der Kampf gegen die revolutionäre Linke.«
»Der >Gentleman-Spion<. War das nicht sein Spitzname?«
»Der Gentleman in Dulles war mindestens genauso gefährlich wie der Spion in ihm. Er war nie gefährlicher als zu seiner Zeit als Privatmann. Damals, als er mit seinem Bruder Foster die Abteilung für internationale Finanzgeschäfte bei Adler & Cooper leitete.«
»Die Anwaltskanzlei? Was haben die
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