Das silberne Schiff - [Roman]
Schultern. »Das ist mir egal. Außerdem sind ihre Netze vorübergehend abgeschaltet. Ich habe es so eingerichtet, dass sie automatisch in einer Stunde reaktiviert werden, falls ich außer Reichweite sein sollte. Bisher bin ich nicht länger als eine halbe Stunde in diesem Ding geflogen.«
»Wann hast du den Gleiter hierhergebracht?«, fragte Liam vorsichtig in möglichst neutralem Tonfall.
»Ich habe ihn bei jedem größeren Sturm während dieses Winters getestet. Zuerst dachte ich, er könnte von einem Blitz getroffen werden. Aber vielleicht wäre es auch in Ordnung gewesen, wenn ich dabei gestorben wäre. Doch es ist nichts passiert. Anscheinend gibt es etwas in der Hülle des Gleiters, das ihn vor Blitzen schützt. In Artistos glauben sie, die Netze würden wegen der elektrischen Entladungen während eines Gewitters ausfallen.« Sie grinste. »Das habe ich ihnen jedenfalls erzählt. Wie es scheint, glaubt Gianna nicht daran, aber fast alle Kinder aus der Wissenschaftlergilde landen schließlich bei den Vagabunden, sobald sie die Schule abgeschlossen haben.«
»Warum hast du Brise mitgenommen?«, fragte ich.
Kayleen sah mich zum ersten Mal seit dem Start direkt an. »Weil sie das einzige Wesen in Artistos ist, das mich bedingungslos liebt und bereit ist, mich überallhin zu begleiten. Außerdem können wir vielleicht ein Packtier gebrauchen.«
Ich musterte Brises wacklige junge Beine. Gebras wuchsen schnell heran, aber sie würde noch einige Wochen lang zu schwach sein, um eine nennenswerte Last zu tragen. »Was ist mit Paloma?«
»Paloma würde niemals mitkommen wollen.«
»Paloma liebt dich«, sagte ich. Kayleen musste doch irgendwann wieder zur Vernunft kommen. Sie musste wieder umkehren.
Kayleen blinzelte mit feuchten Augen. Dann schluckte sie. »Ich habe ihr eine Nachricht hinterlassen. Sie wird verstehen, warum ich es tun musste.«
»Ich verstehe es nicht.« Liam drehte sich herum und sah Kayleen an. Seine Miene verriet, dass er zu irgendeiner Entscheidung gelangt war. Seine Augen blickten klar und intensiv, sein Gesichtsausdruck war neutral. »Du hast nicht das Recht dazu. Es ist Kidnapping, was du da mit uns machst.«
Ich verzichtete darauf, den Tatbestand des Kidnappings zu kommentieren.
Kayleen sah ihn nur an und sagte: »Noch ein Jahr in Artistos, und ich wäre gestorben oder verrückt geworden. Ich habe mit Tom und Nava und sogar mit Hunter gesprochen, um sie zu überzeugen, dass ich bei euch beiden sein sollte, dass ich mit meinesgleichen zusammenleben sollte, aber sie haben nicht auf mich gehört. Es gefällt ihnen, eine kleine gehorsame Modifizierte gefangen zu halten.«
»Was ist mit der Kolonie und den Netzen?«, wollte ich von ihr wissen.
Sie zuckte mit den Schultern. »Gianna und Paloma können sich eine Zeitlang um alles kümmern. Außerdem haben sie es vorher auch irgendwie geschafft. Schließlich waren wir nicht immer hier.«
Meine Hände umklammerten die Armlehne des Sitzes, und die Fingerknöchel traten weiß hervor. Mit bewusster Anstrengung zwang ich sie, sich zu entspannen, damit das Blut wieder bis zu meinen Fingerspitzen floss. »Was wäre, wenn wir dich häufiger besuchen würden? Ich weiß noch nicht, wie wir es anstellen könnten, aber wir werden eine Möglichkeit finden. Akashi und Mayah werden dafür Verständnis haben.«
Sie sah mich nur mit offenem Mund an. »Chelo. Mir bleibt keine andere Wahl.« Ihre Stimme stockte. »Ich kann hier nicht bleiben. Vielleicht kann ich eines Tages zurückkehren, aber jetzt kann ich hier nicht bleiben.«
Etwas in ihrem Tonfall, in ihrem Blick, in ihrer Körperhaltung überzeugte mich schließlich. »Es tut mir leid, Kayleen.« Ich verfluchte mich dafür, dass ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen war und nichts von ihrem Problem bemerkt hatte, bevor es kritisch wurde. Ich blickte zu Liam hinüber – für ihn war es viel schlimmer. Er wollte nur seine Sippe führen, wieder zuhause bei seinen Leuten sein. Kayleen war für ihn fast eine Fremde. Nie zuvor war er von seiner Familie getrennt gewesen, zumindest erinnerte er sich nicht daran. Er war zwei Jahre alt gewesen, als Akashi und Mayah ihn adoptiert hatten, und sie hatten ihn vom ersten Tag an als ihren Sohn bezeichnet.
Auf dem Bildschirm hinter Liams Kopf schwebten Wolken und blauer Himmel vorbei. Ich setzte mich neben ihn und ließ Kayleen im Heck des Gleiters mit Brise allein. Er nahm meine Hand und drückte sie fest. Seine Finger waren kalt. Ich verschränkte meine
Weitere Kostenlose Bücher