Das silberne Schiff - [Roman]
Samtwald, und die Straßen der Stadt waren leer.
Das erste Lebenszeichen kam von Ruth, die ich laut und erstaunt und stolz in meinem rechten Ohr hörte. »Wir haben einen getötet.« Alle konnten es mithören, da wir nur eine Frequenz benutzten. Ruth und ihre zweihundertfünfzigköpfige Gruppe sollten sich langsam durch den Samtwald bewegen. Hatten sie die Stadt bereits erreicht? »Es muss ein Wachmann gewesen sein. Hier ist es ansonsten menschenleer.«
Dann war Kayleens laute und feste Stimme in meinem Ohr. Im Befehlston. »Geht weiterhin langsam vor. Löst keinen Alarm aus.« Aber wir hatten einen erwischt und selber noch niemanden verloren. So viel stand fest.
Vielleicht funktionierte es tatsächlich.
Artistos wirkte immer noch, als würde es schlafen.
Wieder Kayleen, diesmal leiser. »Sie wissen, dass ihr da seid.« Schweigen. »Sie reden darüber.«
War Liam wohlauf? Ich schwieg weiter und sprang zu Tom und Paloma hinunter. »Sei vorsichtig, wenn du mit dem Baby springst«, warnte Paloma mich.
»Hat es begonnen?«, fragte Tom.
»Ja. Ruth meldet, dass sie einen getötet haben.«
»Ich kann nichts sehen«, flüsterte Paloma und reckte sich auf Zehenspitzen empor.
»Drüben am Weg neben dem Fluss«, zischte Tom und zeigte darauf.
Ich blinzelte, und eine Bewegung löste sich in zwei winzige, kaum erkennbare Gestalten auf. Die Kraftprotze rannten den geraden Weg entlang, trotz ihrer Körpermasse sehr schnell. Ich sprach in den Ohrempfänger. »Zwei Kämpfer kommen aus Richtung Industriegebiet. Sie rennen. Passt auf!«
Ein leicht wahnsinniges Lachen von Ruth. »Vielleicht haben wir sie aufgeschreckt.«
Vielleicht war sie etwas zu selbstsicher. Andererseits waren Ruth und ihre Sippe wirklich gute Jäger. »Mag sein. Sie kommen genau auf euch zu. Seid vorsichtig!«
Diesmal lachte sie nicht. »Das werden wir sein.«
Liam. Er musste sich von Akashi getrennt haben, um so weit wie möglich um die Stadt herumzugehen und sich der Trinkwasseranlage zu nähern. Bisher war die Anlage nicht gesichert gewesen, aber Kayleen hatte mir gesagt, dass sie vor einem Datenzugriff abgeschirmt war. Liam würde dort warten, bis der Kampf im Gange war, und hoffen, dass man ihn nicht bemerkte. Er hatte Gift von Paloma dabei, etwas, das jeden tötete, der von dem Wasser trank.
Paloma drückte meine Hand. Ich sah sie an – Furcht stand in ihren Augen, aber auch Hoffnung. Oder vielleicht eine Mischung aus beidem, die Akashi Gebet nannte.
Die Stille schien ewig anzuhalten. Ich unterbrach sie mit einem Flüstern. »Akashi und seine Gruppe müssten genau zwischen uns und der Stadt sein.« Er und zweihundert Kämpfer nahmen den direkten Weg zum Raumschiff und zum Lager, das rundherum aufgeschlagen worden war. Ich konnte sie noch nicht sehen.
Paloma wurde unruhig und hob eine Hand, um ihre Augen vor der Sonne zu schützen. »Siehst du Stile?«
Überall versperrten Bäume die Sicht. Sonnenlicht funkelte auf etwas, ein kurzer Blitz, mehr nicht.
Wenn sie wussten, dass wir da waren, warum unternahmen sie dann noch nichts? Warum blieb es so still?
Ein hellgrüner Kornvogel flog nur wenige Meter von uns entfernt vorbei, setzte sich auf einen Ast und legte den Kopf schief, um Paloma aus kleinen braunen Augen zu mustern. Einige Schwanzfedern waren zerzaust, und eine war abgeknickt und zeigte nach unten. Ein Windhauch streifte meine rechte Hand, und ein Schatten strich über den Boden. Dann wurde der kleine Vogel von den Krallen einer großen Baldachineule gepackt, die tagsüber jagte. Die Eule verschwand mit ihrer Beute im Wald. Das war bestimmt ein böses Omen, es sei denn, wir waren die Eule.
Paloma und ich wechselten einen nervösen Blick, und Tom schüttelte den Kopf. »Das hat gar nichts zu bedeuten.«
Das Warten ging mir auf die Nerven.
Dann war Kayleen wieder in meinem Ohr. Ihre Stimme hatte eine Spur des Wahnsinns, unter dem sie vor einiger Zeit gelitten hatte. »Der Alarm! Im Sektor der Vagabunden.« Ich hörte ein helles Heulen, und ich brauchte einen Moment, um mich zu vergewissern, dass es von Artistos und nicht aus dem Ohrempfänger kam. Ich reckte den Hals, ähnlich wie Paloma, um mehr zu erkennen. »Stile!«, rief Kayleen. Der Schmerz in ihrer Stimme drang mir ins Ohr. »Stile! Nein!« Dann ein flehendes »Ist noch jemand da?«
Und in diesem Moment wurde mir klar, was wir ihr angetan hatten.
Joseph hatte mit Steven und Therese in Verbindung gestanden, als sie beim Steinschlag starben. Es hatte Monate gedauert, bis er
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