Das silberne Schiff - [Roman]
genauso ernst wie ihr Gesichtsausdruck. »Du hast schon häufiger ähnlich komplexe Aufgaben bewältigt. Wenn du dich nicht entspannst, kannst du keinen optimalen Kontakt zur Neuen Schöpfung halten.«
»Mit mir ist alles in Ordnung.« Sie hatte recht. Ich konnte es schaffen. Ich musste nur die Nerven behalten. Ich musste ihr beweisen, dass ich es konnte.
Ihr und mir selber.
Ich nahm einen weiteren Atemzug, schloss die Augen und zählte langsam von zehn bis eins, während ich ausatmete. Zehn … neun … acht … Mein Herzschlag wurde langsamer. Die Polster und Jenna und sogar der Mantel verblassten langsam im Hintergrund … sieben … sechs … Die Zeit veränderte sich. Die freundlichen Hintergrundgeräusche verlangsamten sich und wurden tiefer … drei … zwei … eins.
Wie Wasser durch ein geöffnetes Fluttor strömte, ergossen sich die Daten von den Haupttriebwerken der Neuen Schöpfung in mich, erfüllten mich, sickerten in meinen Geist, mein Blut, meine Muskeln, meine Knochen. Mein Körper wurde größer und schwerer. Ich war das Schiff, meine Haut hielt dem eiskalten Vakuum des leeren Weltraums stand, durch den ich wie ein Blitz aus Wärme und Licht raste. Ich war das Triebwerk, das entgegen meiner Flugrichtung Schub gab, meine Muskeln spannten sich an, als ich mich gegen mein eigenes Bewegungsmoment stemmte.
Der Teil von mir, der mit dem großen Schiff summte und sang, mühte sich ab, auf Kurs zu bleiben. Also zog ich die Schultern an und hielt meinen riesigen, metallenen Körper auf meiner Flugbahn. Ich war das Schiff, das sich drehte, und ich war das tosende Triebwerk, das gegen mich selbst ankämpfte.
So sah die Arbeit des Piloten aus. Das Gleichgewicht wahren und nach allem Ausschau halten, das schiefgehen könnte. Es war wie das Gefühl in den Zügeln eines Gebras, wenn es ein Raubtier witterte. Die Furcht, dass eine zu starke Korrekturbewegung zu einem Sturz in den Abgrund führen würde.
Mein menschlicher Körper schwitzte. Wasser lief mir über das Gesicht. Ich spürte, wie Jenna meine Stirn und Brust mit kühlem Wasser benetzte.
Eine Dissonanz.
Das Schiff kämpfte gegen sich selbst, und ich wahrte das Gleichgewicht, mit winzigen Anpassungen in die eine und dann wieder in die andere Richtung. Atem und Wasser und Jenna, die meine Arme streckte, meine Schultern massierte. Die Dissonanz ließ nach, und die brüllenden Maschinen wurden allmählich leiser. Eine langsame, letzte Drehung im Raum.
Der Schweiß lief mir klebrig und salzig über die Gesichtshaut. Die Mathematik der Bewegungsimpulse, die Extrapolation der Konsequenzen, und alles passte zusammen.
Jennas schwielige Hand auf meiner Stirn.
Als wir nach der Drehung wieder auf einem guten Kurs waren, zehrten die grollenden Haupttriebwerke unsere Vorwärtsbewegung auf, wie eine Ziege, die störrisch die Beine spreizte. Sie gewannen den Kampf und machten uns langsamer. Ich blieb eingetaucht in das labile Wechselspiel von Gleichgewicht und Richtung, ich überprüfte, justierte und überprüfte erneut.
»Das genügt, Joseph. Wir sind auf stabilem Kurs. Komm jetzt heraus.«
Jennas Worte purzelten in meine Ohren und vermischten sich zu einem Gewirr von Tönen, bevor sie sich sortierten und Bedeutung annahmen. Zeit zum Loslassen, um wieder nur einfach Joseph zu sein. Das Schiff zog sich von meinem Körper und Geist zurück. Leuchtendes Blau füllte mein Sichtfeld aus, als ich meine Augenlider zwang, sich zu öffnen.
Jennas Gesicht nahm über mir klare Züge an. »Vier Stunden sind lange genug, Joseph. Du hast es geschafft. Jetzt ruh dich etwas aus.«
Ich brummte und sackte zusammen. Mein Körper war ein unangenehmer Ort, wo es überall zwickte und schmerzte, so dass ich es nicht schaffte, die Schwelle zum Schlaf zu überschreiten. Das Klicken und Zirpen der Computer und Datenanzeigen, Jennas gedämpfte Schritte, das Rauschen der Luftzirkulation – all das war unnatürlich laut. Ich warf mich eine Weile unruhig hin und her, bis ich schließlich in einem tiefen Traum versank und wieder das Schiff war, das durch den leeren Weltraum flog. Sternenlicht küsste meine Haut, und meine Finger kribbelten von der Kälte.
Vier Tage vergingen, dann fünf, dann sechs. Die Reise war unbeschwert gewesen, doch nun spürten wir den Schub der Verzögerung. Es wurde anstrengender, sich im Schiff zu bewegen. Mir kam in den Sinn, dass Jenna sich gut genug mit dem Schiff auskannte und wusste, wie man die Bordschwerkraft regulierte, um uns vom stetigen Druck
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