Das silberne Zeichen (German Edition)
Schrenger verwandt ist. Da Gort nicht mit großem Geist und noch weniger mit Ehrgeiz gesegnet ist, schien er Schrenger wohl das beste Mittel, doch noch über Umwege in den Besitz der Markwardt’schen Werkstatt zu gelangen.»
«Ihr glaubt also, Gort ließ sich so einfach benutzen?», hakte van Eupen nach.
Der Domherr zuckte mit den Schultern. «Marysa Markwardt ist ein ansehnliches Weib. Gewiss musste Gort nicht lange überredet werden.»
«Wenn es stimmt, dass Gort nicht übermäßig mit Verstand gesegnet ist, kann ich mir kaum vorstellen, dass er sich, nachdem er abgewiesen wurde, einen derart hinterhältigen Plan ausgedacht haben soll», gab Volmer zu bedenken. «Diese Theorie hält einer genauen Prüfung kaum stand, Herr van Oenne. Wenn Ihr freilich Beweise hättet …»
«Die habe ich nicht.»
«Dann frage ich mich, warum wir darüber schon so lange reden.» Volmer lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. «Wir geben den Schreinemaker nicht in die Obhut des Stiftes. Sein Prozess wird morgen beginnen, ob Marysa Markwardt bis dahin wieder aufgetaucht ist oder nicht.»
Der Domherr bedachte ihn mit einem zynischen Blick. «Dann, meine Herren Schöffen, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Euch zu verkünden, dass noch heute zur neunten Stunde eine Prozession des Marienstiftes stattfinden wird.»
«Nein.» Volmer starrte ihn erbost an.
«Sie wird zu Ehren des heiligen Hilarius abgehalten und führt vom Dom aus an der Acht vorbei über den Markt bis zur Stadtmauer, dann außen um die Stadt herum und zum Ponttor wieder hinein.»
«Das könnt Ihr nicht machen», protestierte nun auch van Eupen. «Prozessionen müssen mindestens einen Tag vorher beim Rat angekündigt werden. Und wer ist überhaupt dieser Heilige, den Ihr da genannt habt? Hilarius?»
Van Oenne lächelte triumphierend. «Hilarius ist der zweite Bischof von Aquileja und starb im ersten Jahrhundert nach der Menschwerdung Christi als Märtyrer. Wir stießen erst kürzlich in unseren Archiven auf eine ausführliche Darstellung seines Lebens und Wirkens und hielten es für angebracht, diesem wahrhaft Heiligen umgehend eine Prozession zu widmen. Noch dazu, da sich sein Todestag erst kürzlich gejährt hat. Was die Frist angeht – Bruder Weiland hat bereits gestern einem Eurer Schreiber ein entsprechendes Schriftstück mit der Anmeldung des Ereignisses übergeben.»
Van Eupen war verblüfft. «Ihr habt das geplant? Wozu dann diese Versammlung?»
Van Oennes Lächeln schwand. «Ich hatte die Hoffnung, dass das Schöffenkolleg für unsere Argumente offen sein könnte. Ihr beharrt jedoch auf Eurem Recht, ohne an die möglichen verheerenden Folgen zu denken. Also bleibt uns leider keine andere Wahl.»
«Eine Unverschämtheit ist das!», wetterte Volmer los. «Ihr könnt nicht einfach eine Prozession veranlassen, um unsere Anweisungen zu umgehen.»
«Nicht?» Der Domherr erhob sich und ging gemessenen Schrittes zur Saaltür. «Dann wartet mal ab, Meister Volmer.»
***
Atemlos ließ sich Geruscha auf die Stufen vor dem Eingang des Rathauses sinken. Ihre Fußsohlen schmerzten, waren mit blutigen Schrammen übersät. Ihre Lungen stachen von der kalten Luft, die sie gierig einatmete. Sie musste weiter, Hilfe holen. Doch ihre Kräfte drohten sie allmählich zu verlassen.
Es war nur noch ein kurzes Stück bis nach Hause, redete sie sich gut zu. Sie war Marysa und ihrem Entführer quer durch Aachen gefolgt. Dann, in der Nähe des Ponttores, hatte sie sie plötzlich aus den Augen verloren. Das Lämpchen, das Marysa bei sich trug, war erloschen, wenig später waren sie und der Entführer wie vom Erdboden verschluckt gewesen.
Geruscha rieb sich verzweifelt übers Gesicht. Sie war lange hin und her gelaufen und hatte ihre Herrin gesucht, vergeblich. Als sie schon aufgeben wollte, fand sie jedoch ganz nah beim Stadttor die Lampe auf dem Boden. Dann sah sie, dass die kleine Mannpforte nicht verschlossen war. Also war sie hindurchgeschlüpft, in der Hoffnung, die Spur ihrer Herrin wieder aufnehmen zu können. Möglicherweise hatte Frau Marysa bemerkt, dass jemand ihr folgte, vielleicht hatte sie die Geldkatze, die sie immer im Ärmel ihres Kleides verborgen trug, aber auch nur auf gut Glück fallen gelassen. Geruscha tastete mit klopfendem Herzen danach. Sie hatte die Börse sicher unter ihrem Kleid verborgen. Wie weit sie in die Richtung gelaufen war, in der sie ihre Herrin vermutete, wusste sie nicht genau. Entdeckt hatte sie sie nicht mehr, und als es
Weitere Kostenlose Bücher